Wo ist der Himmel?
26. Mai 2022
Christi Himmelfahrt, Lesejahr C
Lesungen: Apg 1, 1-11, Eph 1, 17-23, Lk 24, 46-53
Prediger: Pater Ludovic Nobel
Liebe Schwestern und Brüder,
von einem jüdischen Lehrer, einem Rabbi, ging die Sage um, daß er jeden Morgen vor dem Frühgebet – zum Himmel aufsteige. Ein Gegner lachte darüber und legte sich vor Morgengrauen auf die Lauer. Da sah er, wie der Rabbi als Holzknecht verkleidet sein Haus verließ und in den Wald ging. Der Gegner folgte von weitem. Er sah den Rabbi Holz fällen und in Stücke hacken. Dann lud er sich die Holzstücke auf den Rücken und schleppte sie in das Haus einer armen, kranken, alten Frau. Der Gegner schaute durch das Fenster, und sah den Rabbi auf dem Boden knien und den Ofen anzünden. Als die Leute später den Gegner fragten, was es denn nun auf sich habe mit der täglichen Himmelfahrt des Rabbi, sagte er: „Er steigt noch höher als bis zum Himmel.“
Die Geschichte will sagen, daß der Himmel nicht ein Ort ist, der irgendwo über der Erde im Weltall zu finden ist. Der Himmel ist vielmehr dort, wo Menschen Gutes tun, wo sie einander helfen. Der Rabbi hat durch sein soziales Handeln den Himmel geerdet. Oder anders gesagt ist hier: „der Himmel auf Erden“. Dieses bekannte Zitat bringt das Wesentliche der Geschichte auf den Punkt. Nämlich daß durch die ganz konkrete Tat des Rabbis schon hier und jetzt der Himmel auf Erden angebrochen ist.
Der Himmel ist nicht eine andere Welt, in die man entweichen kann. Das Himmelreich ist schon in uns, um uns, hier gegenwärtig. Wir dürfen daran mitbauen.
Gott will nämlich Mitarbeiter haben – und keine Abwartende. Wenn wir uns begnügen, auf das Reich Gottes zu warten, wird es – zumindest zu uns – niemals kommen. Die Erde ist der Ort, wo der Himmel gebaut wird. Und Gott ist nicht in den Himmel aufgefahren, weil er genug von dieser Welt hatte. Er ist für uns unsichtbar geworden, um auf eine ganz andere und ganz neue Art mit uns zu arbeiten und in uns zu wirken – hier auf Erden, in unserem Tun.
Aber Gott thront nicht in einer anderen Welt. Gott ist in diese Welt gekommen und hat sie nicht mehr verlassen. Er bleibt bei uns alle Tage. Er ist hier gegenwärtig und will uns begegnen: Im Wort, das wir hören. In der Vergebung, die wir empfangen. Im Nächsten, den wir lieben dürfen. Im Glauben, der uns geschenkt ist. Und in der Eucharistie, den n Kommunion ist Gottesbegegnung.
Ja, Liebe Brüder und Schwestern, Himmelfahrt heisst nicht Jesus ist fort. Himmelfahrt heisst Christus ist da. Christus ist da, wo Gott ist. Nämlich an unserer Seite, immer und überall. Amen.