Wenn der Heilige Geist spürbar wird
21./22. Mai 2022
6. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C
Lesungen: Apg 15, 1-2.22-29; Offb 21, 10-14.22-23; Joh 14, 23-29
Predigt: Christina Mönkehues-Lau
Seit einigen Monaten höre ich von unserer Tochter immer wieder einen Satz: «Mama, wir machen einen guten Kompromiss!». Meistens fällt er, wenn mein Mann und ich Pläne schmieden und die 3-jährige nicht ganz einverstanden ist. Zähne putzen, zu Bett gehen, aufräumen – da gibt es so einige Tätigkeiten, die wenig attraktiv sind und die versüsst werden sollen, indem man vorher z.B. noch ein Buch vorgelesen bekommt. Zugegeben: Die vorgeschlagenen Kompromisse sind oft eher Ausformulierungen ihres eigenen Wunschprogramms, aber wir diskutieren dann, jeder macht ein paar Zugeständnisse und schliesslich finden wir einen Weg, der für alle gangbar ist.
Ich mag diese Verhandlungen. Wir nehmen uns gegenseitig ernst. Wir lernen uns dadurch besser kennen und merken, was dem anderen wichtig ist. Und wir loten auch selbst aus, was für uns entscheidend ist, und wo wir leicht Zugeständnisse machen können. Und so wachsen wir als Familie enger zusammen.
Viel davon erkenne ich auch in den heutigen Lesungstexten. Vom 4. bis zum heutigen 6. Ostersonntag haben wir die Abschiedsreden aus dem Johannesevangelium gehört. Der Auferstandene bringt noch einmal auf den Punkt, was ihm wichtig ist und bereitet seine Freundinnen und Freunde darauf vor, dass er bald nicht mehr unter ihnen sein wird. Zwischen diesem Abschied und unserem Evangelium liegen schon 70 Jahre, bzw. etwa 3 Generationen. Aus diesem Abstand wird verständlich, dass Johannes die Jesusgeschichte für eine Kirche erzählt, die längst gelernt hat, dass sie – salopp gesagt – ohne Jesus in dieser Welt auskommen muss. Es ist eine Kirche, die sich schon auf viele Länder verteilt hat und die in ganz neue Probleme hineingeraten ist, und die deshalb das Wort Jesu sozusagen für ihre Situation auf den Punkt gebracht hören muss. Was hilft also in dieser Lage? Im Johannesevangelium wird es so formuliert:
„Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“
Der Heilige Geist – er ist es, der der jungen Kirche helfen soll. Aber wie kann das passieren? Und wie erkennt man diesen Heiligen Geist? Aus den schwierigen Erfahrungen in unserer Kirche mit Machtmissbrauch stellt sich auch die Frage: Wer hat die Definitionsmacht darüber, welche Entscheidung vom Heiligen Geist stammt?
Einen Fingerzeig gibt uns die Lesung aus der Apostelgeschichte. Im syrischen Antiochien hat sich eine Christusgemeinde gebildet. Neben Jüdinnen und Juden interessieren sich aber auch nichtjüdische Menschen für die Bewegung, was die junge Gemeinschaft zu einer Richtungsfrage herausfordert: Müssen nichtjüdische Männer sich zuerst beschneiden lassen, d.h. Jude werden, um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden? Für Paulus und Barnabas war das nicht nötig: Sie haben Erfahrung darin, Christusgemeinschaft auch in nicht-jüdischen Kontexten aufzubauen, aber anders sahen das Vertreter aus Jerusalem und Judäa, die als Abordnung nach Antiochien geschickt wurden. Sie fordern nicht nur die Beschneidung ein, sondern dass von nichtjüdischen Jesusanhänger:innen auch viele weitere jüdische Gesetze und Traditionen eingehalten werden müssen. Es sind keine kleinen Fragen, die da verhandelt wurden. Bei dieser Richtungsentscheidung flogen die Fetzen – auch in Jerusalem, wo die Streitfragen auf einer Art erstem Konzil verhandelt wurden. Wenn man das ganze Kapitel ein wenig studiert, erinnert der Ablauf an eine Gerichtsverhandlung: Zeugen werden gehört, Plädoyers gehalten und am Ende wird von einem Richter eine Entscheidung getroffen, im Namen der Gesamtgemeinde, die an der ganzen Beratung und Verhandlung beteiligt ist. Das Ergebnis ist ein Kompromiss: Es braucht auf der einen Seite keine Beschneidung für die Nicht-Juden beim Eintritt in die Jesusbewegung. Aber die Versammlung entscheidet auch, dass doch ein Teil der jüdischen Speisevorschriften auch von nichtjüdischen Jesusanhänger:innen einzuhalten ist, um z.B. gemeinsame Herrenmahlfeiern zwischen jüdischen und nichtjüdischen Christen zu ermöglichen.
Dieser Kompromiss im ersten Jahrhundert ist eindrucksvoll: Er öffnet die Türen für eine Pluralität der Mitglieder und stärkt den Zusammenhalt, indem eine Mahlgemeinschaft möglich wird. Dafür lohnt es sich zu streiten und zu verhandeln.
Ich bleibe hängen bei der Formulierung der Beschlüsse, wie sie in Briefform durch Boten nach Antiochien geschickt werden. Da schreiben die Jerusalemer Autoritäten: «Denn es gefällt dem Heiligen Geist und uns, euch weiter keine Last aufzuerlegen als nur diese notwendigen Dinge».
So war das Empfinden: Wenn wir hier so miteinander ringen, wenn jeder gehört wird in seinem jeweiligen Lebenskontext, wenn wir bereit sind, neue Wege zu gehen und Kompromisse zu akzeptieren, dann ist der Heilige Geist am Werk. Dann ist der Heilige Geist wirklich ein Beistand, der uns immer wieder zum Kern dessen führt, was Jesus gesagt und wie er gehandelt hat.
In diesen Tagen wurde von der Pastoralkommission der Bischofskonferenz ein erster Entwurf veröffentlicht, der die Ergebnisse des synodalen Prozesses in der Schweiz zusammenfasst. Auch wir hier in unserer Pfarrei haben uns beteiligt, haben miteinander in den Kommissionen und Gruppen über unsere Kirche diskutiert und Ergebnisse festgehalten. Interessanterweise gibt es gleich in der Einführung eine Passage darüber, wie die Synodengespräche von den Teilnehmenden empfunden wurden. Neben Ungeduld, Ohnmacht und Resignation, findet sich auch die Erfahrung, dass synodale Gespräche als «spirituelle» oder «mystische» Ereignisse wahrgenommen wurden. Ist der Heilige Geist schon da, wenn wir einfach mehr miteinander reden?
Eine Kirche, der es nicht nur um die Sache, sondern auch um ihre Mitglieder geht; in der verschiedene Lebenssituationen und Kulturen einen Platz haben; in der Richtungsentscheidungen transparent und unter Beteiligung der Betroffenen getroffen werden; in der Kompromissbereitschaft und Pluralitätstoleranz wichtig ist. Ich glaube, dass in einer Kirche, die so funktioniert, der Heilige Geist auch heute noch wirkt und spürbar ist. Ich hoffe, dass wir aus positiven Erfahrungen des synodalen Prozesses lernen – gerade an der Basis, in der Pfarrei. Dass wir erkennen, wie wichtig es ist, im Dialog zu bleiben und miteinander zu ringen. Dass wir den Menschen, die Lust, Feuer und Geist haben, die Kirche mitzugestalten, Gehör schenken und bereit sind, mutige Entscheidungen zu treffen.
Amen.