Was Gottes Sonne an den Tag bringt
12./13. November 2022
33. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Lesung: Mal 3,19-20b; Lk 21,5-19
Predigerin: Bettina Gruber Haberditz
Vor der Sonne der Gerechtigkeit wird nicht alles Bestand haben. Ihr Licht ist ein Licht der Unterscheidung, der Klarheit.
Das Jahr geht dem Ende entgegen, die Zeit des Bilanzziehens beginnt. Für das Kirchenjahr ist heute bereits der zweitletzte Sonntag. Da erstaunt es wenig, dass die biblischen Texte Rück- und Vorschau halten.
Im Evangelium wird uns in drastischen Bildern eine Endzeitstimmung beschrieben, und das Bedrückendste daran ist, dass in unseren Ohren einiges nicht wie pessimistische Prognose, sondern wie eine Gegenwartsbeschreibung klingt. Für Menschen in der Ukraine und anderswo blieb in diesem Jahr kein Stein auf dem andern. Auch uns kam ein Grossteil unserer Zuversicht abhanden. Bange fragen wir: Was für eine Zukunft erwartet uns?
Die Ankündigung vom Tag des Herrn, vom Gottesgericht sagt allerding: Nicht die Wirren sind das Letzte. Das Gericht kommt erst danach. Und im Gericht wird es darauf ankommen, wie wir einander – bei aller Ohnmacht dem Weltgeschehen gegenüber – das an Zuwendung haben zukommen lassen, was uns möglich gewesen wäre. Gott erwartet von uns nicht Wunder, sondern Mitmenschlichkeit, ganz besonders in katastrophaler Not. Was ihr dem geringsten meiner Brüder, der geringsten meiner Schwestern getan habt, habt ihr mir getan. Die richtige Frage lautet darum nicht, was erwartet uns, sondern: Wo werde ich gebraucht?
Kriege, Naturkatastrophen, Hunger, Pandemie. Das zu Ende gehende Jahr hatte von allem. Weltuntergangspropheten haben da ein leichtes Spiel. Lasst euch nicht irre machen, warnt Jesus seine Zeitgenoss:innen und auch uns. Falsche Prophet:innen packen euch bei eurer Angst, um euch für ihre Zwecke einzuspannen. Politiker, die so lange von gestohlenen Wahlen reden, bis ihre Anhänger:innen auch vor Gewalt nicht zurückschrecken, haben auf verstörende Weise illustriert, wie Lügen durch andauernde Wiederholung zu Fakten gemacht werden und Angst in Aggression kippen lassen.
Das Licht der Sonne der Gerechtigkeit ist hell und unbestechlich. Und plötzlich fangen wir an zu verstehen, dass das Gericht Gottes nicht eine Bedrohung, sondern eine Erlösung, eine Heilung sein wird. Wahrheit wird als solche sichtbar, und Fake-News in allen Sprachen der Welt haben nicht länger Bestand – auch nicht, wenn sie mit einem religiösen Mäntelchen daherkommen.
Das war nur ein aktuelles Beispiel. Leider kennen wir viele von dieser Sorte, Populist:innen, Machtmenschen, die sich als Retter ihres Volkes gebärden. Lauft ihnen nicht nach!
Und lasst euch vor allem von diesem aggressiven Klima nicht anstecken. Wer in Verteidigungshaltung geht, spielt das Spiel der Gewaltspirale mit. Sorgt nicht im Voraus für eure Verteidigung. Zugegeben, eine schwierige Aufgabe. Aber es sind die Friedensstifter:innen und die Menschen reinen Herzens, die als Kinder Gottes für immer in seiner Hand geborgen bleiben.
Im Extremfall sind es Märtyrer:innen, die für ihren Glauben an den Sieg der göttlichen Liebe und Gerechtigkeit alles auf diese eine Karte setzen. Im übertragenen Sinn wird ihnen kein Haar gekrümmt werden, weil die Sonne der Gerechtigkeit ihre Wunden heilt und sie sich auf Gottes Seite wissen. Wenn ihr standhaft bleibt, werdet ihr das Leben gewinnen.
Bleiben wir noch beim Bild der Sonne. So wie niemand die Hand ausstrecken und sich die Sonne vom Himmel holen kann, so kann sich auch niemand Gottes Gerechtigkeit in die eigene Tasche stecken. Sie steht über allem, und keine Macht der Welt kann sie besitzen. Welch ein Trost!
Ja, die Sonne der Gerechtigkeit bringt die Wahrheit ans Licht, und sie steht unverfügbar über allen.
Für heute noch ein dritter und letzter Gedanke dazu: Die Sonne der Gerechtigkeit trägt für uns einen Namen: Jesus Christus. Am nächsten Sonntag feiern wir mit dem Bild des Königs, dass er über allem steht, weil sein Lebensweg uneingeschränkt Bestand hat in Gottes Licht. Mit dem ersten Advent beginnen wir den Jahreskreis neu und hoffen dem Licht der Welt entgegen, das dann, wenn es am dunkelsten ist, in alle Widersprüchlichkeiten und Katastrophen hinein geboren wird.
Auf Kinderzeichnungen hat die Sonne ein Gesicht. Unsere Sonne der Gerechtigkeit auch.
Amen.