Ist denn der Glaube wertvoller als ein geregeltes Leben?

14./15. Mai 2022

5. Sonntag der Osterzeit, Lesejahr C
Lesungen: Apg 14,21b-27, Offb 21,1-5, Joh 13,31-33A.34-35

Prediger: Florian Joos

Liebe Mitfeiernde

„Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen.“

Das haben wir in der ersten Lesung gehört.

„Drangsale“, ein altmodisches Wort für Mobbing, Benachteiligung, Verfolgung, Gefängnis, Folter bis hin zur Todesstrafe.

Drangsale für den Glauben an Christus.

Ist denn der Glaube wertvoller als ein geregeltes Leben?

Treu am Glauben festhalten – was darf das kosten?

Wie können Paulus und Barnabas es verantworten, Menschen zu ermahnen, – Junge und Alter, Frauen und Männer – unter Lebensgefahr treu am Glauben festzuhalten?

Das ist nur möglich, wenn der Glaube bereits im Hier und Jetzt eine Art von Mehrgewinn schenkt, der dieses Risiko rechtfertigt. Diesen Gewinn des Glaubens dürfen wir heute wieder neu entdecken.

Verstehen wir den Glauben als neue Dimension des Lebens, als Leben in Fülle,

als unbeschreibliche Lebensqualität, als neue Freiheit, als eine neue Art der Freude, die alles in den Schatten stellt, was diese Welt zu bieten hat.

Der Glaube wurde oft einseitig verstanden als Pflicht, als stabile Struktur, in die das Leben gegossen wird, als Schutzbunker vor dem Bösen.  Angst vor der Strafe Gottes und Angst vor bösen Mächten wurde geschürt. Aber Angst führt in die Enge, nicht ins Weite.

Heute ist es unsere Aufgabe, wieder neu zu entdecken, was dieser Mehrwert des Glaubens an Jesus Christus für unser Leben bedeutet.

Dazu ist es hilfreich, folgendes zu verstehen:

Der Glaube ändert nicht in erster Linie die Welt. Sondern der Glaube ändert erst einmal die Wahrnehmung, unsere Interpretation der Welt und des Lebens.

Ein Beispiel:

Stellen wir uns eine Raumkapsel im Weltall vor. Darin lebt eine Gruppe von Astronauten. Diese Astronauten haben keinen bekannten Ort, an den sie zurückkehren könnten. Keinen Funkkontakt zu einer Bodenstation, keinen Heimathafen. Sie sind und bleiben, sie leben und sterben isoliert in ihrer kleinen Welt. Auf der anderen Seite haben wir Astronauten in genau derselben Situation. In diesem Fall aber stehen sie ständig im Funkkontakt zur Bodenstation und sie wissen, dass die Rückkehr zum Heimatplaneten sicher vorgesehen ist.

Das ist der Unterschied zwischen Nichtglauben und Glauben.

Die faktische Situation der Astronauten ist genau die gleiche: Die Lebensbedingungen, die Nahrung, der Alltag unterscheiden sind nicht. Aber die Rahmenbedingung ist völlig unterschiedlich. Als Christinnen und Christen dürfen wir an einen Gott glauben, der unsere Raumkapsel bereits besucht hat, der durch den Heiligen Geist ständig mit uns im Funkkontakt steht und zu dem wir am Ende unserer Mission auf dieser Erde heimkehren werden. Nach Hause. Dieser Glaube ändert nicht das Geringste an der faktischen Realität, aber das Lebensgefühl ist ein anderes. Dieser Glaube ändert nicht die Realität des Alltags, aber er öffnet den Horizont weit über die Wand der begrenzten materiellen Welt hinaus.

Das, was wir hier erleben an Freude und Leid, an Lachen und Weinen, an Ruhe und Arbeit – all das mündet in eine neue Welt voller Licht und Leben, die wir unsere eigentliche Heimat nennen dürfen.

Man kann diese Sicht der Dinge als billige Vertröstung auf das Jenseits bezeichnen.

Für Paulus und Barnabas war es das sicher nicht.

Im Gegenteil: diese neue Interpretation der Realität des täglichen Lebens, durch den Glauben an den auferstanden Christus, war ihnen Antrieb und Trost, Halt und Freiheit, Heimat und Lebensziel. Diesen Glauben dürfen wir für uns jeden Tag neu entdecken.

Es ist der Glaube an die allumfassende Liebe, die am Ende siegen wird. Diese Liebe hat Gott uns in Jesus Christus gezeigt und geschenkt.

Und diese Liebe bedeutet Freiheit. Denn wo die Liebe regiert, da sind Regeln und Gesetze überflüssig. Wo dagegen Hass und Misstrauen herrschen, wo das Recht des Stärkeren sich durchsetzt, dort braucht es Abkommen, Verträge, Absicherungen, Kontrolle, gesicherte Grenzen, Abschreckung durch Waffen. Wo die Liebe gelebt wird, braucht es das alles nicht.

„Liebe und tu was du willst.“, sagt Augustinus.

Diese Freiheit der Liebe kann auch heute noch Menschen überzeugen und begeistern – aus einem ganz einfachen Grund: Es gibt nichts Besseres.

Wir glauben, dass Gott die Liebe ist. Aber wie kommen wir auf diese Idee?

Der unsichtbare Urknall dieses Glaubens ist die Auferstehung, das leere Grab, die Auferweckung Jesu von den Toten. Der sichtbare und hörbare Auslöser dieses Glaubens ist das Zeugnis der Frauen und Männer, die für diese zwei Worte gelebt haben und gestorben sind: „Jesus lebt.“ Ob wir dieses Zeugnis für glaubwürdig halten, das ist unsere persönliche Entscheidung. Wenn wir uns aber für diesen Glauben entschieden haben, dann können wir nur gewinnen. Der Glaube an einen Gott der Liebe hat nicht die geringste unerwünschte Nebenwirkung, nicht den Hauch eines Schattens. Es gibt keinen einzigen rationalen Grund, den Glauben an eine ewige Heimat bei Gott, an ein Leben im Licht, an den Triumph der Liebe

zu bezweifeln oder abzulehnen. Der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Christus kann unser Leben nur bereichern, besser machen, freier, menschenwürdiger, freudiger, hoffnungsvoller, friedlicher und sinnvoller. Sinnvoller deshalb, weil Jesus unserem Leben eine Mission gibt, einen Auftrag: „Liebt einander, wie ich euch geliebt habe.“

Nur von dieser göttlichen Liebe und von diesem unwiderstehlichen Licht her, ist zu verstehen, dass Paulus für Christus missioniert ohne „Wenn und Aber“, dass er Gemeinden gründet und sie dabei dem Risiko der Drangsal ausliefert.

Wer berührt ist von dieser Botschaft, die das Recht des Stärkeren missachtet, wer brennt für diese neue Vision des Lebens, wer einen Frieden im Herzen trägt, weil er von Gottes Feuer berührt wurde, der kann nicht anders, als andere anzustecken.

Paulus und Barnabas sind angetrieben von der drängenden Sehnsucht, das Recht des Stärkeren durch die Liebe des gekreuzigten Christus zu ersetzen.

Der Geist Gottes drängt sie, allen Menschen zu erzählen von diesem neuen Horizont,

von dieser neuen Welt, von diesem neuen Jerusalem, von der Wohnung Gottes unter den Menschen.

Amen.