Geh hin und sündige nicht mehr!

02./03. April

5. Fastensonntag, Lesejahr C
Lesungen: Jes 43,16-21, Phil 3,8-14, Joh 8,1-11

Prediger: Pater Ludovic Nobel

„Es gibt Augenblicke, in denen wir aufgerufen sind, in ganz besonderer Weise den Blick auf die Barmherzigkeit zu richten…“.

Liebe Brüder und Schwestern,

Dieser Satz von Papst Franziskus passt gut zum heutigen Evangelium.

Zu den Grundüberzeugungen unseres christlichen Glaubens gehört die Gewissheit: Barmherzigkeit ist eines der schönsten Gesichter unseres Gottes. Ja, unser Gott ist barmherzig, er hat ein Herz für die Menschen.

Das heutige Evangelium erklärt uns wie Jesus diese Barmherzigkeit konkret gelebt hat. Schauen wir einmal genauer hin:

Ehebruch wurde im Alten Testament mit dem Tode bestraft. Die Steinigung war eine Möglichkeit, diese Todesstrafe in die Tat umzusetzen. Es ist daher sehr verständlich, dass diese Frau Todesängste hatte. Wenn Jesus nicht gewesen wäre, ein paar Minuten später, hätten die schweren Steine ihren Kopf und ihren Körper zertrümmert. Wie wir es wissen, wird die Steinigung in gewissen Ländern immer noch praktiziert.

Jesus nimmt also diese Frau im Schutz. Um uns herum, gibt es auch immer Leute, die Schutz brauchen, auch wenn sie nicht immer alles richtig getan haben.

Als die Schriftgelehrten und Pharisäer nicht aufhörten, Jesus zu drängen, beginnt er mit ihnen zu sprechen.

„Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“ Mit diesem Satz entwaffnet Jesus die Ankläger. Keiner kann von sich behaupten, er habe keine Sünden und so müssen sie ihre Steine fallen lassen und gehen leise weg.

Mit diesem Satz unterscheidet Jesus auch Barmherzigkeit von Recht. Das Recht urteilt nach den objektiven Maßstäben. Die Barmherzigkeit bezieht immer die eigene Existenz in die Beurteilung Anderer mit ein.

Und schliesslich eröffnet er dieser Frau dann einen Weg in eine neue Zukunft. Er hält keine Moralpredigt, wirft ihr nicht die Fehler der Vergangenheit vor, sondern spricht zu ihr das befreiende Wort der Vergebung. Aus dieser vorbehaltlosen Annahme sowie der vergebenden Liebe wird sie die Kraft schöpfen, einen neuen Anfang wagen zu können.

Ist ein solcher Umgang nicht doch etwas zu großzügig?

Ist es nicht richtig, dass für gewissen Taten die schlecht sind, es eine Straffe gibt?

Kann die Barmherzigkeit immer das Recht ersetzten? Sicher nicht. Wenn jemand eine Straftat begeht, muss er bestraft werden. Aber auch ein solcher Täter hat das Recht auf einen Neuanfang, wenn er zur Umkehr bereit ist.

Wenn es schwierig oder sogar unmöglich erscheint, jemandem noch eine Chance zu geben, erinnert uns Jesus daran, dass auch wir nicht perfekt sind, indem er uns sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!“

Recht und Barmherzigkeit schließen sich nicht systematisch aus. Das sollen wir vom heutigen Evangelium mitnehmen. Barmherzigkeit ohne recht geht nicht, sowie, Recht ohne Barmherzigkeit.

Denn wenn das Recht, nach objektiven Maßstäben urteilt, versucht die Barmherzigkeit die Sichtweise des Täters zu berücksichtigen. Was sind seine Motive? Was hat hin zu einer solchen Tat geführt?

Ehebruch wurde damals nicht toleriert. Das Recht hat damals diese Frau verurteilt. Die Barmherzigkeit ändert aber die Perspektive. Sie hinterfragt die Situation aus der Sicht der Frau aus? Was hat sie denn in die Arme eines anderen Mannes getrieben? War es vielleicht Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit? War sie allein mit ihren Kindern und musste für diese irgendwie sorgen können? Wer weiß das? Wer will es beurteilen?

Barmherzigkeit erinnert uns, dass nur Gott das Herz der Menschen wirklich kennt. Er kennt den guten Willen, aber auch die Schwächen von jedem und jeder von uns. Er ist immer bereit eine neue Chance zu geben. Ja, Barmherzigkeit ist die große Charaktereigenschaft unseres Gottes. Dafür sollen wir dankbar sein. Versuchen wir auch, ohne das Recht zu vergessen, wie Jesus, barmherzig zu handeln.