«Ihr aber, für wen haltet ihr mich?»

11./12. September 2021

24. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr B
1. Lesung: Jes 50,5-9a; 2. Lesung: Jak 2,14-18; Evangelium: Mk 8,27-35

Prediger: Florian Joos

„Wer mir nachfolgen will, verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich.“

Warum sollte ich einem Jesus nachfolgen, der mit 33 Jahren qualvoll am Kreuz geendet hat? Was hat er, Jesus, im Gegenzug anzubieten, wenn er solch eine krasse Forderung stellt?

Sind nicht die auf dem richtigen Weg, die ihren eigenen Willen durchsetzen, die sich mit Geschick und Ellenbogen nach oben kämpfen?

Ich verstehe gut, dass Petrus Jesus widerspricht.

Aber 35 Jahre später wurde Petrus unter Kaiser Nero in Rom selber am Kreuz hingerichtet. Also müsste ja Petrus Auskunft geben können: War es das wert, Jesus nachzufolgen, sich dafür kreuzigen zu lassen?

Was hast du davon gehabt, lieber Petrus, ihm nachzufolgen?

Petrus würde sagen: Ich habe ihn geliebt.

Die bitteren Tränen von Schuld und Scham am Karfreitagmorgen: So schämt man sich nur, wenn man einen geliebten Menschen im Stich gelassen hat.

Und die dreimalige Frage des Auferstandenen: Petrus, Sohn des Johannes, liebst du mich? Die Antwort von Petrus: „Herr, du weisst alles, du weisst, dass ich dich liebe.“ (Joh 21,17)

Kommen wir zur Frage, die ja auch an jedes von uns gestellt ist: «Ihr aber, für wen haltet ihr mich?»

Ist Jesus ein guter Mensch aus vergangenen Tagen?

Ist er eine bewundernswerte Persönlichkeit, ein Prophet?

Oder kann ich mit Petrus antworten: „Du bist der Christus!“ und „Du weisst, dass ich dich liebe.“

Schauen wir den Weg des Petrus an: Er wird am See Genezareth von Jesus angesprochen, lässt sich begeistern, mitreissen. Sein altes Leben lässt er hinter sich. An Jesu Seite erlebt er verblüffende Dinge. Ein neuer Horizont öffnet sich: Das Reich Gottes, ein Reich der Liebe, das hier und jetzt mit Jesus schon beginnt. Petrus weiss: ich will eine wichtige Rolle spielen in diesem Gottesreich. Jesus zu folgen, das heisst eine Karriere machen – steil nach oben. An diesem Punkt kündigt Jesus seinen Abgang an und er geht die Leiter nicht hinauf ins Licht, sondern hinab ins tiefste Dunkel. Der begeisternde Hoffnungsträger kündigt an, er müsse sich kreuzigen lassen.

Das ist wie ein Bergführer, der auf einen Gipfel zeigt, hoch oben in den Wolken, der verkündet und verspricht:

Dort gehen wir hin, kommt mit, ich weiss den Weg, ich gehe voraus. Und dann geht’s immer nur bergab und noch tiefer bergab. Wo um Gottes Willen führt der uns hin?

Jesus fordert viel, was aber gibt er dafür?

Jesus gibt zunächst sein Wort und sein Versprechen, das unterschrieben ist mit seinem eigenen Blut. Und dieses Versprechen lautet: Der Weg nach ganz oben führt ganz tief nach unten.

Das ist die paradoxe Logik Gottes, die wir von Jesus lernen. Aber so paradox und neu ist das gar nicht. Denn jedes Kind weiss: Wenn ich etwas erreichen will, muss ich mich anstrengen. Je höher das Ziel, umso mühsamer der Weg. Oder anders herum:

Wenn wir den Weg der Bequemlichkeit einschlagen, dürfen wir uns nicht wundern, dass wir keinen Gipfel erreichen. Oder wenn wir den Gipfel auf die bequeme Tour erreichen, dann sind wir zwar oben, aber mehr auch nicht – denn am wirklichen Leben sind wir vorbeigegangen.

Wie weit sind wir also bereit, mit Jesus hinabzusteigen? Das können wir testen, indem wir Antwort geben auf zwei Fragen:

Hat es mich schon einmal Mut gekostet, mich zu Jesus zu bekennen? Und: Was tue ich oder was unterlasse ich, weil ich Jesus nachfolge?

Die Antwort auf die Frage Jesu „Wer bin ich für dich?“ kann man daran ablesen, wie weit wir bereit sind, uns zu ihm zu bekennen und in seinem Namen zu handeln oder zu verzichten.

Wenn wir uns also entscheiden: Jesus, dir vertraue ich mich an, dir folge ich nach, auch wenn dein Weg nach unten führt. Wenn wir uns so entscheiden, dann hat das Konsequenzen für unsere gesamte Lebenseinstellung:

Es verändert die Einstellung zu anderen Menschen,

es verändert die Einstellung zu leidvollen Situationen,

es verändert die Einstellung zum Tod.

Und es eröffnet eine neue Lebensaufgabe.

Und es öffnet eine Lebensperspektive, die den rein menschlichen Horizont sprengt.

Petrus erhält seine Lebensaufgabe im Gespräch mit dem Auferstandenen: „Weide meine Schafe“.

Er nimmt sich diese Aufgabe nicht selber, weil er Lust darauf hat, sondern er wird an diesen Platz gestellt.

So wie er bekommt jeder und jede von uns den ganz speziellen Auftrag von Jesus zugeteilt. Anhand unserer Lebenssituation, unserer Möglichkeiten und Grenzen, anhand unserer Charismen und Talente, finden wir im Gespräch mit Jesus unseren Arbeitsplatz in seiner Nachfolge. Niemand soll arbeitslos sein, niemand sich überflüssig fühlen im Reich Gottes.

Wenn ich meine Aufgabe von Jesu akzeptiere, dann werde ich erfahren, dass ich nicht allein unterwegs bin.

Denn mein Herr, dem ich nachfolge, geht nicht stur voraus, sondern er schaut nach uns.

Er sendet uns seinen Geist,

er redet uns gut zu mit seinem Wort der Hoffnung,

er gibt uns Nahrung und Kraft für den heutigen Tag,

er sucht uns, wenn wir verloren gehen.

Und – all die anderen gehen ja mit!

Es ist ja ein ganzes Volk, Generationen von Schwestern und Brüdern, die sich gemeinsam mit uns Jesus angeschlossen haben.

Schliesslich kommt die letzte Etappe auf dem Weg nach unten: Der Auferstandene sagt am Ende zu Petrus:

„Wenn du alt geworden bist, wird dich einer fesseln und dich führen, wohin du nicht willst.“

Es gibt Dinge im Leben, die gegen unseren Willen mit uns geschehen, denen wir ausgeliefert sind, die wir erdulden und erleiden müssen. Diese Situationen des passiven Leidens können wir in der Nachfolge Jesu verwandeln in einen freien Akt der menschlichen Würde. Im Blick auf den leidenden Jesus und im Vertrauen auf ihn sich führen lassen, wohin ich nicht will – das ist nicht passives Erdulden, sondern das ist an jedem neuen Tag ein enormer spiritueller Kraftakt der aktiven Lebensübergabe. Sich selbst verleugnen und sein Kreuz zu schultern, das ist wohl der höchste und mutigste Akt, dessen ein Mensch fähig ist.

Ich erinnere mich an einen Freund, der vor vielen Jahren an einem Hirntumor gestorben ist.

Er hatte schlimme Zeiten des Kampfes und der Rebellion gegen sein Schicksal, Zeiten der Trauer um den Verlust seines jungen Lebens. Am Ende aber, als es klar war, dass er bald sterben wird, sagte er immer wieder nur diesen einen Satz: „S’isch guet.“ „S’isch guet.“

Sollte ich nicht jenen nachfolgen, die ihren eigenen Willen durchsetzen und sich mit Ellenbogen ganz nach oben kämpfen?

Wenn wir über den rein menschlichen Horizont hinausgelangen wollen, wenn wir auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus schauen, dann kennen wir die Antwort.

Amen