Krise, Dankbarkeit und Rettung

09./10. Oktober 2022

28. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Lesungen: 2 Kön 5,14-17; 2 Tim 2,8-13; Lk 17,11-19

Prediger: Florian Joos

Geht, zeigt euch den Priestern, sagt Jesus. Das heisst so viel wie: Holt euch die amtliche Bescheinigung, dass ihr genesen seid. Und sie gehen. Neun von ihnen lassen Jesus hinter sich. Einer kehrt um, sich bei ihm zu bedanken. 10 Prozent. Immerhin.

Was passiert, dass dieser Eine nicht weitergeht mit den anderen? Was geht in diesem Menschen vor, als er stehen bleibt? Die anderen gehen weiter. Vielleicht dreht sich noch einer um und fragt «Wo bleibst du?». Alle können ihr Glück kaum fassen, scherzen, lachen, klopfen sich auf die Schultern, dass es staubt.

Einer von ihnen kehrt um und lobt Gott mit lauter Stimme.

Die amtliche Genesungsbescheinigung bei den Priestern ist unwichtig.

In seinen Gedanken und Gefühlen drängt sich Gott in den Vordergrund. Das füllt ihn auf mit Freude und Dankbarkeit, die überfliesst in lautem Lobgesang. Wann haben wir das zum letzten Mal getan – aus Dankbarkeit und Freude laut «Halleluja» gesungen?

Diese kleine Geschichte ist 2000 Jahre alt. Und doch gibt es einige Parallelen zwischen damals und heute.

Einige von uns können nachfühlen, was es heisst, in Quarantäne zu sein. Keine direkten Kontakte, schön brav zu Hause bleiben, Homeoffice. Hoffen, dass der Test irgendwann negativ ausfällt. Die Befreiung ist dann die Bestätigung schwarz auf weiss: Jetzt bist du Corona-negativ, genesen, gesund. So ähnlich ging es damals den Aussätzigen auch, nur viel, viel schlimmer und lebenslänglich.

Aber gehen wir in die Tiefe: Lesen wir diesen Text als topaktuelle Einladung an uns, Jesus näher zu kommen.

In diesem Fall könnte die Krankheit, die Quarantäne, die Krise als Chance zu verstehen sein. Ich sage das bewusst ganz vorsichtig und mit hohem Respekt vor jeder Leidensgeschichte.

Aber nehmen wir an, die 10 Aussätzigen wären eine Gruppe kerngesunder fröhlicher junger Menschen gewesen, gerade auf dem Weg zu einer Party, sie hätten nicht einmal gemerkt, dass sie an Jesus vorbeilaufen.

Erst ihr Leiden macht sie aufmerksam dafür, wer ihnen da von weitem entgegenkommt.

Und der zweite Punkt: Sie erwarten sich von Jesus Heilung.

Hätten die Aussätzigen eine gute medizinische Betreuung, würden sie eher zum Arzt gehen als zu Jesus. Auch in diesem Fall hätten sie auf dem Weg ins Spital kaum bemerkt, an wem sie da vorbeigehen.

Also, weil sie leiden und weil sie von Jesus Heilung erhoffen, rufen sie ihm von weitem zu.

Die Geschichte will uns also sagen: wenn wir an etwas leiden, was kein Arzt, kein Mensch heilen kann, dann kann das es eine spezielle Chance sein, mit Jesus Kontakt aufzunehmen.

Nehmen wir an, wir bitten Jesus um Hilfe:

Jesus, schau auf meine Enttäuschung, auf meine Trauer auf meine Sorgen. Schau, wie sie mich ignorieren, wie sie nur meine Fehler sehen. Schau, wie ich leide unter meinen Ängsten und Fehlern unter meinem Versagen in Beziehungen oder in der Schule und Arbeit. Schau wie ich in der Klemme stecke, schau die vielen offen Rechnungen und Wunden, schau auf meinen Schmerz, meinen Stress, schau Jesus und erbarme dich.

Nehmen wir an, wir beten so und es löst sich ein Problem oder ich finde die nötige Kraft weiterzugehen oder Versöhnung wird mit geschenkt oder ich werde geheilt von meiner negativen Sicht oder auch von einer Krankheit. Würde ich Jesus danken? Wahrscheinlich steht die Chance 10:1, dass man es nicht tut. Oder dass man schnell über die Schulter ruft: «Merci, Jesus, jetzt geht’s mir schon besser, mach’s gut, ich muss weiter.»

Gott ehren, Gott die Ehre geben. Das ist etwas ganz anderes. Es heisst, dass ich nach einer überstandenen Krise nicht einfach weitergehe und weitermache. Wenn ich Jesus um Heilung gebeten habe, wenn sich auf irgendeine Art und Weise meine Situation verbessert hat, dann ist das eine spezielle Chance, stehen zu bleiben, nachzudenken, den Blick und die Gedanken auf Gott zu richten und auf ihn zuzugehen.

Gerade ältere Menschen sind noch so erzogen, dass man meint, wir hätten die Pflicht dankbar zu sein. Ja, ich denke, das haben wir. Aber wer will schon ein pflichtgemässes Dankeschön hören. Wir wollen es nicht und Gott will es auch nicht.

Aber wenn wir merken, dass wir uns selbst etwas Gutes tun, wenn wir dankbare Menschen sind, vielleicht räumen wir dann die blöden Hemmschwellen ab, die uns am Danken hindern:

Die Hemmschwelle Gott zu loben mit lauter oder auch mit leiser Stimme, die Hemmung, vor Jesus auf die Knie zu gehen und ihm zu danken oder jene, vor dem Essen ein Dankgebet sprechen? Oder die Hemmschwelle, am Sonntag, gemeinsam mit anderen Danksagung zu feiern, Eucharistie.

Dankbarkeit trainieren und pflegen, Gott gegenüber, zu den Mitmenschen, in mir selbst eine Grundhaltung der Dankbarkeit wachsen lassen, das ist nicht eine lästige Nebensache, sondern das ist – sogar wissenschaftlich nachgewiesen – ein Heilmittel für die Seele.

Gehen wir noch einen letzten Schritt tiefer:

Jesus sagt dem Samariter, der vor ihm auf dem Boden liegt: «dein Glaube hat dich gerettet».  Mit dieser Rettung meint Jesus nicht die Heilung von der Lepra und er meint auch nicht eine Art von Seelenhygiene. Hier geht es um etwas anderes: Es geht um die Rettung der Seele.

Dieser Mensch hat Gottes Kraft erfahren, er hat mit jeder Faser seiner ganzen Existenz darauf reagiert, durch und durch erfüllt mit Freude und Dankbarkeit.

Niemand kann ihm das mehr nehmen. Kein Leid und nicht einmal der Tod. Die Tür zu Gott ist sooo weit offen.

Und das ist sie, die Rettung.

Amen