Kraftquelle Eucharistie
14.04.2022
Gründonnerstag, Lesejahr C
Lesungen: Ex 12,1-8.11-14, 1 Kor 11,23-26, Joh 13,1-15
Prediger: Florian Joos
Liebe Mitfeiernde
Unsere Welt steht Kopf. Der Wahnsinn regiert.
Lüge wird als Wahrheit verkauft und Wahrheit als Lüge.
Das Recht des Stärkeren feiert Orgien der Gewalt.
Es fühlt sich an, als wäre man im falschen Film, im falschen Jahrhundert.
Wahrscheinlich hatten wir in der Illusion gelebt, Völkerrecht und Menschenwürde seien in Stein gemeisselt.
Aber Mensch bleibt Mensch mit allen Abgründen und Höhenflügen. Ausgespannt zwischen Himmel und Hölle sind wir. Immer schon gab es Menschen, die sich aus Liebe für andere geopfert und immer schon gab es jene, die andere gefoltert und vernichtet haben.
Menschen können übermenschlich gut und untermenschlich böse sein.
Und wie das untermenschlich Böse sich in kleinen Dingen, in Gedanken und Worten ankündigt, so bahnt sich auch das übermenschlich Gute langsam seinen Weg.
Heute Abend schauen wir auf Jesus, wie er die Welt vom Kopf wieder auf die Füsse stellt.
Wir Menschen stellen die Welt immer wieder neu auf den Kopf. Jesus stellt sie zurück auf die Füsse, indem er die Verlierer und die Verlorenen glücklich preist. Die Welt steht Kopf und Jesus stellt sie zurück auf die Füsse,
indem er das Gesetz unter die Liebe stellt,
indem er der Sünde durch Vergebung den Boden entzieht, indem er die Tische der Geldwechsler umstösst.
Die Welt steht Kopf und Jesus dreht sie auf die Füsse,
indem er als Meister seinen Schülern die Füsse wäscht
indem er, Sohn Gottes, sich wie ein Verbrecher kreuzigen lässt.
Und doch sind die Menschen offenbar auch in den letzten 2000 Jahren nicht wirklich besser geworden.
Was hat Jesus daran geändert?
Nichts und doch alles.
Es ist ein Unterschied, ob man in einer fremden Gegend mit oder ohne Navi fährt, ob man in unbekannter Bergwelt mit oder ohne Bergführer unterwegs ist, oder auf dem Meer mit oder ohne Kompass segelt.
Jesus geht voraus, wir folgen nach und wir wissen, dass wir ans Ziel kommen. Ohne Jesus kein Licht, keine Orientierung, kein Ziel – nur eine Welt, die durch menschliche Sünde und Versagen auf dem Kopf steht.
Mit Jesus ist das Ziel klar: Es wird eine neue Schöpfung kommen, unabhängig von uns – aber doch tragen wir Verantwortung unseren Beitrag zu leisten.
Der Weg an sich bleibt uns nicht erspart und gehen müssen wir selber.
Wir sind aber nicht mehr ziellos, wir gehen nicht allein, wir wissen, worauf es ankommt und wir haben eine Ahnung davon, wer und was uns hinter dem Horizont erwartet.
Und – Jesus schenkt uns eine besondere Kraftquelle für diesen Weg: Die Eucharistie.
Was wir hier heute Abend feiern, lässt sich an Dramatik kaum überbieten: Indem Jesus seinen Jüngern das Brot und den Wein reicht, indem er das Brot als seinen Körper und den Wein als sein Blut bezeichnet, nimmt er an dieser Stelle seinen Tod am Kreuz schon vorweg.
Bereits im Abendmahlssaal gibt Jesus seinen Körper hin und bereits hier vergiesst er sein Blut zur Vergebung der Sünden. Alles, was später passiert, ist die faktische Einlösung dessen, was hier am Tisch bereits besiegelt ist.
Wie Jesus beim Abendmahl spricht und handelt, zeigt uns, wie er sich selbst, wie er seinen Auftrag, wie er den Willen des Vaters und wie er seinen eigenen Tod verstanden hat.
«Ich bin das Lamm Gottes, das die Sünde ein für allemal aus der Welt schafft. Nichts kann die Menschen mehr trennen von Gott. Ich lege mit diesem Tod den Grundstein für einen neuen Bund zwischen Gott und der Menschheit.
Kein Mensch soll jemals wieder zweifeln an der Liebe Gottes, die zu allem bereit ist.»
Wenn uns die Hostie in die Hand gelegt wird, dann legt uns Jesus damit jede Sekunde seines leiblichen Lebens in die Hand. Das ist ein Moment höchster Intimität und Nähe.
Wenn wir dieses Brot in unserer Hand halten, dann wissen wir, dass wir Teil seines Leibes sind und bleiben.
Darum heisst es auch Brot des Lebens, weil es uns Jesus ähnlich macht, und Jesus ist das Leben.
Und die gemeinsame Feier des Abendmahls ist wie Einatmen. Unser Leben im Alltag dagegen ist wie Ausatmen.
Von der Eucharistie her gewinnen wir die Kraft, die wir brauchen, um in unserem Alltag die Liebe Jesu zu imitieren. Wenn es am Ende heisst „Ite Missa est“ oder „Geht hin in Frieden“, dann beginnen wir den Atem Jesu in die Welt zu hauchen. In seinem Sinn und Geist wollen wir sie vom Kopf auf die Füsse stellen – durch Vergebung, durch Hoffnung, durch die Macht des Schwächeren: Barmherzigkeit, Friedfertigkeit, Nächstenliebe. Und dann kehren wir am ersten Tag der Woche wieder zurück an diesen Ort der intimen Gemeinschaft, um wieder einzuatmen, um neue Kraft zu holen für die nächste Woche.
Es gibt kein schlimmeres und problematischeres Wort für die gemeinsame Feier der Eucharistie als „Sonntagspflicht“.
Ist es denn eine Pflicht, Jesus zu begegnen?
Ist es eine Pflicht gemeinsam mit Brüdern und Schwestern seine frohe Botschaft zu hören und zu feiern?
Ist es eine Pflicht, das grösste Geschenk der Liebe in die Hand gelegt zu bekommen?
Nein, es ist keine Pflicht. Es ist Gottes Antwort auf unsere Sehnsucht nach Geborgenheit, es ist die Kraftquelle, die Nahrung, der Atem, der uns überhaupt erst leben, hoffen und lieben lässt in dieser von Bosheit verdrehten und entstellten Welt.
Zum Schluss ein Gebet von Pauline Jaricot (Gründerin von Missio vor 200 Jahren. Sie wird am 22. Mai seliggesprochen):
Herr, du heisst mich willkommen an deinem Tisch, denn ich bin dein Kind.
Verwandle durch die Eucharistie meine Schwachheit in deine Kraft,
meine Niedrigkeit in deine Grösse
mein Aufbrausen in deine Sanftmut,
meine Boshaftigkeit in deine Heiligkeit,
meine Nichtigkeit in deine Göttlichkeit,
meine Torheit, meine Dunkelheit, mein Unwissen
in deine Weisheit, dein Licht und deine Wahrheit.
Ich möchte dich in mir empfangen.
Erfülle mich mit deinem Sein
Amen