Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt

9. April 2023

Ostersonntag
Lesungen: Drei Lesungen aus dem AT, Röm 6,3-11, Mk 16,1-7

Predigende: Christina Mönkehues-Lau

„Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt, / mein Trauergewand hast du gelöst und mich umgürtet mit Freude» (Psalm 30)

Der Psalm 30 beschreibt es gut: Das Wechselbad der Gefühle der letzten Tage. Wir sind angekommen. Die längste Liturgie, die unsere Kirche kennt, kommt in der Osternacht zu ihrem Ende und Höhepunkt. Nach dem Gemeinschaftsmahl am Hohen Donnerstag sind die Glocken verklungen, der Schrecken und das Leid des Karfreitags liegen noch schwer auf uns, doch nach der Ruhe des Karsamstags regt sich etwas Ungeheures. Die Osterkerze, die wir entzündet haben, erleuchtet das Dunkel des frühen Morgens. Aus uns bricht das Halleluja heraus, unsere Organistin darf heute alle Register ziehen.

«Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt.»

Ich muss an den Ostertanz denken, den es bis ins späte Mittelalter in einigen Osterliturgien gab. In grossen Kathedralen gab es damals auf dem Fussboden oft Labyrinthe aus Stein, die von Pilgerinnen und Pilgern durchschritten wurden. Sie waren ein gutes Symbol für die Wirrungen des Lebens, in denen man versucht, näher zum Zentrum, zu Gott zu kommen. Doch einmal im Jahr wurde nicht mühsam der richtige Weg ertastet, nein, auf dem Labyrinth wurde getanzt. Die Liturgen, die diesen Tanz vollführten, warfen sich als Aufforderung zum Tanz einen grossen Ball zu, symbolisch für die Ostersonne, die in das Leben kommt und den Schritt verändert. Im Tanz kommt die Osterbotschaft uns allen nahe: Das Labyrinth bleibt bestehen; an den schwierigen Wendungen des Lebens ändert es faktisch nichts, aber Ostern lässt uns den Kopf erheben und ausbrechen. Unsere tastenden Schritte werden zum Tanz.

«Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt.»

Was macht Ostern mit den Menschen? Der Evangelist Matthäus beschreibt das Osterereignis wie kein anderer mit dramatischen Worten: Blitz, Erdbeben, Gräber, die sich öffnen, Wächter, die wie tot umfallen, und die unwahrscheinliche Begegnung der beiden Marien erst mit dem Himmelsboten und dann mit dem Auferstandenen selbst. Matthäus zieht – wie die Organistin – alle Register, um in Worte zu fassen, was geschehen ist. Die Verzweiflung und Trauer des Karfreitags werden durchkreuzt. Die, die schon ihre Hoffnungen und Träume begraben sahen, können es kaum fassen: «Furcht und Freude» erfasst die beiden Frauen, die ersten Zeuginnen, angesichts der Erkenntnis, dass Jesus bei ihnen ist und bleibt.

Wie etwas beschreiben, für das man noch kein Konzept kennt, etwas das undenkbar und nie dagewesen ist? Ich denke, wir müssen uns etwas der Gedankenwelt der Jüngerinnen und Jünger annähern, um einen Begriff davon zu bekommen. Ein Verständnisgeländer kann uns die apokalyptische Theologie sein, die man heute noch z.B. im Buch Daniel findet. Gott setzt der Jetzt-Zeit ein Ende. Die Grenzen von Raum und Zeit verschmelzen. Die Toten werden auferweckt, weil die Endzeit mitten im Diesseits, im Hier und Jetzt anbricht. Ein neue Welt bahnt sich an, ein absoluter Machtwechsel. Gottes Herrschaft hat begonnen.

Vor diesem Hintergrund ist die Erfahrung der Frauen wie ein Paukenschlag: Worauf viele in Israel schon lange warten, passiert jetzt. Nein, es passiert nicht wie erwartet: nicht alle Menschen werden auferweckt; auch die politischen Führer bleiben an der Macht, und doch ändert sich alles. Die Jüngerinnen und Jünger Jesu sind überzeugt: Jesu ist bei ihnen, er ist als Erster auferweckt und seine Auferweckung ein Zeichen dafür, dass diese Zeit Gottes, sein Reich, schon angebrochen ist und sich Stück für Stück durchsetzt. Die Begegnung mit Jesus ist der Anfang eines grossen Umwälzungsprozesses, der zum endgültigen Durchbruch der Gottesherrschaft führt.

Ein theologischer Lehrer von mir, Martin Ebner, hat das mal auf die prägnante Formel gebracht: Mit dieser Überzeugung glaubten die Jüngerinnen und Jünger Jesus seinen Glauben. Denn auch Jesus war überzeugt: Das Reich Gottes hat tatsächlich schon begonnen. Und so hat er auch gelebt. Er hat den Himmel auf die Erde gezogen – so sehr, dass man beides nicht auseinanderbringt. Durch sein Handeln hat er deutlich gemacht: Gott und Menschen gehören zusammen, wir Menschen dürfen darauf vertrauen, dass Gott es gut mit uns meint, wir dürfen dem Leben trauen. Wer daran glauben konnte, den hat er verwandelt: Erdrückende Schuld hat er abgenommen – wie bei der Ehebrecherin; Sozial Geächtete wie Zacharias hat er integriert und ihm damit eine neue Perspektive eröffnet. Hungernde hat er gespeist, Verletzungen an Leib und Seele geheilt, soziale Gefüge aufgerüttelt. Er hat Menschen spüren lassen, was es heisst, in Gottes Reich zu leben. Er hat den Himmel auf die Erde geholt – und er war auch bereit, dafür in den Tod zu gehen.

Und seine Botschaft endet nicht am Kreuz oder im Grab. Das, was die Jüngerinnen und Jünger erfahren haben, ist schwer in Worte zu fassen. Aber nach dem Ostererlebnis hält sie nichts mehr beim Grab. Der Weg weist hinaus, nach Galiläa. Zurück zum Alltag, dorthin wo alles begann, mit seiner Botschaft auf den Lippen. Sie, die gerade noch mutlos und verängstigt waren, brechen auf. Und sie leben Gemeinschaft so, wie sie es von Jesus gelernt haben. Mit den Füssen auf dem Boden und dem Kopf im Himmel. In einer Gemeinschaft, in der andere soziale Ordnungen gelten, in der «nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich sind – alle sind eins in Jesus Christus», so der Galaterbrief. In einer Gemeinschaft, die weiter denkt, als es die Grenzen unserer Welt vorgeben. In einer Gemeinschaft, die sogar über den Tod hinausweist.

«Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt.»

Wer Jesus seinen Glauben glaubt, der darf nicht nur an Ostern auf dem Labyrinth des Lebens tanzen. Für den ist der Himmel schon auf die Erde gekommen. Das spüren wir, wenn wir nachher miteinander am Tisch sitzen – in der Eucharistie wie beim Osterfrühstück. Das spüren wir, wenn wir uns engagieren, für Gottes Schöpfung, für Gerechtigkeit, für Frieden, gegen totbringende Strukturen. Das spüren wir, wenn wir einander unsere Osterbotschaft zurufen: Jesus Christus ist auferstanden – und wir mit ihm.

«Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt.» Halleluja.