Gott hat seine Praxis hier auf der Erde!
25. Dezember 2021
Weihnachten 2021, Lesejahr C
Lesungen: Jes 52,7-10; Hebr 1,1-6; Joh 1,1-18
Prediger: Pater Ludovic Nobel
Das heutige Evangelium klingt eigenartig im Gegensatz zu der sehr bilderreichen Erzählung der Weihnachtsgeschichte der letzten Nacht in der Christmette. Der Stern, die Engel und die Hirten, der Ochs und der Esel, Maria, Josef und das neugeborene Jesuskind auf Heu und Stroh, das ist Weihnachten, das sind Bilder, die wir alle im Hinterkopf haben, wenn wir an Weihnachten denken.
Einige von euch sind vielleicht sogar enttäuscht, denn das Johannes- evangelium, das wir eben gehört haben, tönt etwas zu philosophisch. Es spricht von Wort, Leben, Licht, Finsternis, Fleisch: Was soll das eigentlich an diesen weihnachtlichen Tagen?
Als Johannes diesen Text verfasste, hatte er gewiss nicht unsere Weihnachtsfeier und unsere Festtagserwartung vor Augen. Johannes versucht eigentlich nicht, das Geheimnis von Weihnachten in Wort und Geschichte zu beschreiben. Er versucht eher, dieses Geheimnis der Menschwerdung – Gott wird Mensch – zu verstehen und zu erklären. „Wie kann man erklären, dass Gott Mensch geworden ist?“, das ist die Frage, die Johannes beschäftigte, als er dieses Evangelium schrieb. Um das Geheimnis der Menschwerdung zu erklären, hat er also diesen wunderbaren Ausdruck formuliert: “Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“ Ein schöner Satz, der sich aber nicht so leicht verstehen lässt. Ja, wie kann man das Geheimnis von Weihnachten verstehen? Gott wird Mensch. Gott kommt zu uns, um mit uns zu sein und zu leben!
Ein Pfarrer, der Weihnachten erklären wollte, fragte seine Schüler: „Was meint ihr: Gott ist doch im Himmel, aber gleichzeitig soll er doch auch hier mitten unter uns sein. Wie kann man sich das denn wohl vorstellen?“
Nach einiger Zeit meldete sich das kleine Töchterchen des Arztes und erklärte ganz selbstsicher: „Das ist doch ganz einfach! Seine Wohnung hat der liebe Gott im Himmel, aber seine Praxis, die hat er hier auf der Erde.“
Schöner könnte man es nicht sagen. Mit zwei Sätzen hat dieses Kind das ganze Geheimnis der Weihnacht umschrieben. „Das ist doch ganz einfach! Seine Wohnung hat der liebe Gott im Himmel, aber seine Praxis, die hat er hier auf der Erde.“
Weil er selbst Mensch geworden ist, weil er unter uns gewohnt hat, hat Gott uns endgültig deutlich gemacht, wo er zu finden, wo er am Werk ist. Seine Praxis hat er auf der Erde. Hier, bei uns wirkt Gott, hier dürfen wir sein Wirken, sein heilendes Handeln spüren.
Gott ist also kein ferner Gott, kein Machthaber, der weit über den Wolken thront. Unser Gott ist ein naher, ein menschenfreundlicher Gott. So menschenfreundlich, dass er sogar selbst Mensch wird.
Gott wird Mensch. Mensch, wie du und ich. Ein Gott in unserer Mitte. Diese atemberaubende Entdeckung steht in der Mitte unseres Glaubens und unseres Gottesdienstes. Ein Gott mit einem Menschenherzen. Ein Gott, der uns anschaut mit den Augen eines Menschen. Ein Gott, der zu uns spricht mit der Stimme eines Menschen. Ein Gott, der von uns verstanden werden will. Ein Gott, der uns begegnen will.
Ja, Weihnachten ist das Fest einer Begegnung. Gott kommt zu uns, um uns Menschen als Mensch zu begegnen. Der christliche Glaube lebt von der Begegnung zwischen Gott und Mensch, zwischen Mensch und Mensch.
An Weihnachten scheint uns alles daran zu hindern, diese Begegnung mit Jesus zu leben. An den Festtagen gibt es tausend Angebote als Ersatz für das christliche Weihnachten: in Diskos, in Urlaubsparadiesen, in Restaurants und Hotels. Im Fernsehen und am Radio finden wir tausend Möglichkeiten, um Weihnachten mit Stille, Besinnung und Begegnung mit Gott zu auszuweichen.
Der Glaube an Jesus Christus, der für uns Mensch geworden ist; das Leben nach seinem Wort und Beispiel; die Freude, die nur er schenken kann, ersterben nicht, weil Christus tot oder abwesend wäre, sondern weil viele Menschen heute Gott nicht mehr begegnen möchten.
Wenn wir Weihnachten wirklich zu feiern wünschen, dann sollen wir vor allem die Begegnung, d. h. diese enge Verbindung, die Gott uns anbietet, wahrnehmen und suchen.
Vor der Krippe lassen wir die Stille, die Besinnlichkeit, die Worte des Weihnachtsevangeliums, die Aussagen des Glaubensbekenntnisses, die Weihnachtslieder an uns heran. Erkennen wir in diesem neugeborenen Menschenkind, dessen Leben in der Krippe von Bethlehem in Armut und Demut begonnen hat, den Sohn Gottes, der zu uns kommt. Nehmen wir ihn auf und versuchen wir mit ihm als neue Menschen zu leben, als Menschen, die das Licht und die Freude der Weihnacht auf ihre Mitmenschen ausstrahlen: Denn das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.
Amen.