Friede den Menschen auf Erden

24. Dezember 2022

Christmette, Lesejahr A

Lesungen: Jes 9, 1-6; Tit 2, 11-14; Lk 2, 1-14

Prediger: Pater Ludovic Nobel

Betheem, Weihnachten 1952: Der Oberwalliser Priester Pater Ernst Schnydrig bereitet sich darauf vor, die Geburt Christi in der Geburtsbasilika zu feiern. Auf dem Weg dorthin trifft er auf einen völlig verstörten palästinensischen Familienvater, der sein Kind in der Nähe eines Flüchtlingslagers begräbt.

Diese tragische Szene wird ihn zutiefst erschüttern. Wie kann man Weihnachten, die Geburt des Erlösers, das Fest des Lichts und der Freude feiern, wenn ein Vater seinen kleinen Jungen begräbt, der gerade gestorben ist, weil er nicht die nötige medizinische Versorgung erhalten konnte?

Es dauert nicht lange, bis Ernst Schnydrig diese Frage konkret beantwortet. Er ist entschlossen, alles zu tun, damit in der Geburtsstadt Jesu kein Kind mehr an medizinischer Versorgung scheitert. Das Kinderspital Bethlehem war geboren.

Das Werk von Pater Schnydrig ist heute 70 Jahre alt. Obwohl sich die Gesundheitslage in Bethlehem und Umgebung weitgehend verbessert hat, gibt es in diesem Teil der Welt nach wie vor viele Probleme. Die Spannungen zwischen Israel und Palästina sind leider immer sehr groß. Auch heute noch leiden Kinder in der Stadt, in der der Friedensfürst geboren wurde!

Und wie werden wir dieses Jahr Weihnachten feiern? Werden auch wir uns, wie Pater Schnydrig auf dem Weg nach Bethlehem, von dem Leid und Unglück so vieler Kinder, Männer und Frauen auf unserem Planeten herausfordern lassen? Oder werden wir lieber die Augen verschließen und unser kuscheliges, romantisches Weihnachten feiern, einen Glühwein schlürfen und schöne Weihnachstslieder zuhören?

Liebe Brüder und Schwestern, sicherlich können nicht alle ein Werk wie das Kinderspital in Bethlehem gründen. Dennoch wenn wir Weihnachten feiern, können wir dem Leid um uns herum nicht gleichgültig bleiben. Weihnachten ist in der Tat das Fest des Friedens und der Solidarität. Weihnachten ist auch ein Fest des Lichtes und der Wärme…Ein helles licht, das die Hirten umstrahlt, ein Licht, das unsere allzu oft verzweifelte Welt erleuchtet, ein Licht, das die Kälte unserer Herzen und unseres Lebens erwärmt. Weihnachten ist aber noch mehr als ein Fest des Lichtes, es ist auch das Fest einer Gegenwart…An Weihnachten ist Gott zuallererst hinabgestiegen. Er ist hineingestiegen in die Dunkelheit dieser Welt, damit er uns in die Arme schließen kann, damit er uns ganz nahe sein kann, damit wir seine Nähe spüren und nicht allein sind.

Wenn ein Kind während der Nacht weint, soll eine guter Vater oder eine liebende Mutter zuerst das Licht machen. Ein guter Vater oder eine liebende Mutter wird dann aber auch das weinende Kind in die Arme nehmen und ganz fest an sich drücken.

Für sich allein betrachtet, kann selbst das hellste Licht doch völlig kalt sein. Durch die menschgewordene Liebe Gottes aber wird unsere Welt – vielleicht nur langsam, aber dafür dann erst richtig hell und warm.

Auch das ist Weihnachtsbotschaft: Gott macht unsere Finsternis nicht einfach hell. Aber er steigt mit uns in sie hinab, um Licht, Wärme und Freude in unser Leben zu bringen.

Als Christinnen und Christen sind wir auch Gottes Hände und Arme.

Heute ist uns dieses Licht anvertraut, es liegt an uns, es an diejenigen weiterzugeben, die es so sehr brauchen, es liegt an uns, das Leben so vieler Verzweifelter zu erwärmen: verlassene Kinder, einsame und kranke Menschen, Familien, die durch Gewalt und Krieg zerrissen wurden.

Liebe Brüder und Schwestern, in diesem Sinn, wünsche ich euch frohe und gesegnete Weihnachten.

Liebe Mitfeiernde

Nach einem Jahr des Distanzhaltens wissen wir besser als je zuvor, dass Nähe eine Quelle für Energie und Lebensfreude ist.
Die Gottesnähe, von der das Buch Deuteronomium spricht, soll heute unser Leitmotiv sein. Daneben möchte ich aus den heutigen Bibeltexten noch zwei weitere Begriffe aufnehmen und sie in Beziehung setzen. Das wären: der makellose Gottesdienst, sowie Gottes Gesetz und menschliche Regelungen.

Beginnen wir mit der Gottesnähe. Mose erlebte, dass Gott nahe ist, beim brennenden Dornbusch. Diese Begegnung veränderte sein Leben gänzlich. Sie gab ihm die Kraft daran zu glauben, dass dieser Gott die Israeliten in die Freiheit führen wird. Gottes Nähe muss auch für seine Umgebung so greifbar gewesen sein, dass seine Landsleute ihm vertrauten und unter seiner Führung ins Ungewisse aufzubrechen wagten. Unterwegs erfährt das ganze Volk Gottes Nähe, und die Israeliten erkennen, dass die Gebote dieses Gottes der Weg zum gelingenden Leben sind.

Eine solche erlebte und immer wieder aktiv gesuchte Gottesnähe ist es auch, die den Handwerker Jesus zum Verkündiger des Gottesreiches werden liess.

Und erfahrene Gottesnähe oder erhoffte ist es, die uns heute hier zusammengeführt hat.

Das bringt uns zum zweiten Begriff und zur Frage: Was ist ein makelloser Gottesdienst? Wir alle haben uns sauber angezogen, „gsunntiget“, um damit auszudrücken: der Gottesdienst ist ein Moment, der sich aus dem Alltag heraushebt, eine Stunde, die uns wichtig ist.

Nur sagen uns die Texte heute, und das wissen wir ja auch schon: mit den gewaschenen Händen, Haaren und Kleidern ist es nicht getan. Wenn sich in unserem Innern nichts bewegt, dann war die beste Seife umsonst. Das sagt Jesus in aller Deutlichkeit, und auch der Jakobusbrief bringt es auf den Punkt: „Werdet … Täter des Wortes und nicht nur Hörer, sonst betrügt ihr euch selbst!“ Der makellose Gottesdienst geschieht nicht in Kirchenbänken, er besteht darin, den Schwachen zu ihrem Recht zu verhelfen. Damals waren das z.B. Witwen und Waisen. Unseren Dienst vor Gott erbringen wir in der Sorge um Menschen, die heute zu kurz kommen. Weit suchen muss dazu niemand.

Unser Dienst vor Gott besteht auch darin, die Schöpfung zu schützen, den Tieren ihre Würde zu belassen und den Pflanzen Lebensraum zu gewähren. Dazu gehört auch, das Wasser für alle Lebewesen sauber zu erhalten und den Zugang nicht zu kommerzialisieren. (Das Wasser wird übrigens Thema der diese Woche beginnenden Schöpfungszeit sein, die bis Anfang Oktober dauert.)

Zurück zum makellosen Gottesdienst und zum Gottesdienst im engeren Sinn – zu dem, was wir jetzt gerade erleben. Wer dient wem im Gottesdienst? Dienen wir Gott mit unseren Gebeten und Gesängen, oder dient Gott uns?

Wenn wir vom Zweiten ausgehen, kommen wir dem Kern der Sache näher. Denn Gott als unser Schöpfer hat uns nicht einfach als intelligente Pflänzchen in eine lebensfreundliche Umgebung gesetzt, nein, Gott schenkt uns seine Nähe, bietet sich als das grosse Gegenüber an. Das feiern wir.

Was bedeutet das nun für den Gottesdienst und seine Liturgie? So wie Jesus Kritik an Reinheitsvorschriften übte, die zum Selbstzweck werden, so tut unsere Kirche gut daran – und zwar von uns hier bis zu den Bischöfen und bis Rom, – sich zu fragen, was es für einen würdigen Gottesdienst braucht.

Das Kriterium aus den heutigen Texten heisst: alles was im Ablauf des Gottesdienstes uns die Nähe Gottes erahnen und erleben hilft, ist richtig. Alles, was sich in der Form verselbständigt und sich als Hindernis für Gottesnähe hier und heute erweist, müssen wir über Bord werfen. Auch wenn es vertraute Satzungen der Alten sind.

Das bringt uns zum Begriffspaar göttliche Weisungen und menschliche Gesetze. Die grosse Herausforderung für das Feiern vor Gott, aber auch für die Gestaltung des Zusammenlebens ist die Unterscheidung zwischen den beiden. Wenn immer Menschen mit Sicherheit zu wissen glaubten, was alles göttliches Gesetz ist, und damit ins Feld zogen, hinterliessen sie Tote oder entrechtete Menschen. Als düstere Beispiele aus der christlichen Geschichte lassen sich Ketzer- und Hexenverfolgungen, Zwangsbekehrungen von indigenen Völkern und Juden oder das Einsperren junger Frauen und ihrer unehelichen Kinder nennen.

Gottes Gesetze sind Satzungen der Weisheit. Nur solche Regeln verdienen dieses Prädikat, die die Würde der Einzelnen achten, das Zusammenleben von Menschen fördern und die Gottesnähe strahlen lassen.

Natürlich ist es mühsam, im Dschungel der aktuellen Fragestellungen herauszufinden, wie die 10 Gebote heute ausbuchstabiert werden sollen. Für diesen Suchprozess gibt der Jakobusbrief den Rat: „Nehmt mit Sanftmut das Wort an“. Behutsamkeit bewahrt uns – und vor allem andere – vor Flurschaden. Leicht verkommt eine Überzeugung zum Kreuzzug – Corona lässt grüssen. Nehmen wir darum Jesu Warnung auch für uns ernst, die er mit den Worten des Jesaja den Pharisäern entgegenwarf: „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg.“

Überzeugungen brauchen wir und sollen wir haben, aber Prinzipienreiterei, die Andersdenkende verteufelt, ist das Gegenteil von Gottesnähe und Gottesdienst. Ein Stück weit liegt es somit an uns, wie viel Gottesnähe uns zuteilwerden kann.

Als Bestärkung auf diesem Weg halten wir uns fest an der frohen Botschaft des heutigen Tages: Ein Gott will sich uns schenken, der uns nah ist, wo immer wir ihn anrufen.

Amen.