Frau am Jakobsbrunnen

12./13. März 2023

3. Fastensonntag, Lesejahr A
Lesungen: Ex 17, 3-7;  Röm 5, 1-2.5-8; Joh 4,5-42

Prediger: Florian Joos

Die Frau spricht von «Wasser» und Jesus spricht von «Wasser». Und doch meinen sie etwas völlig unterschiedliches. Sie meint Wasser zum Trinken und Waschen und Jesus redet vom Wasser des Lebens. Beide sprechen von Durst und doch reden sie nicht vom selben Durst. Die Samariterin meint unseren biologischen, körperlichen Durst. Und Jesus redet vom Durst nach ewigem Leben, nach Würde und Schönheit, Freundschaft, Licht und Liebe, Vertrauen, Hoffnung, … also kurz gesagt von unserer Sehnsucht nach Gott. Und so scheint es, dass sie aneinander vorbeireden.

Aber am Ende der Geschichte, rennt die Frau in die Stadt und führt durch ihr begeistertes Zeugnis alle Leute zu Jesus. Und sie laden ihn ein, bei ihnen zu bleiben.

Jesus hat keine Wasserpumpe geliefert, aber er hat Geist und Wahrheit gebracht und damit Freude und Hoffnung. Das lässt sich leicht so sagen, aber was steckt wirklich dahinter? Wenn Jesus von einer lebendigen Quelle redet, die nie versiegt, was meint er damit?

Um das zu verstehen, hilft mir das Bild von der Meeresoberfläche. Wir können ein ganzes Leben lang über die Oberfläche des Lebens gleiten, ohne in die Tiefe einzutauchen. Viele Menschen scheinen sich zufrieden zu geben mit der sichtbaren Oberfläche, den materiellen Dingen und unseren etwa 90 Lebensjahren auf dieser Erde.

Viele andere aber interessieren sich für das, was sich in der Tiefe finden lässt. Also nehmen sie sich die Zeit, gehen in die Stille, sie verlassen die Oberfläche und tauchen ein in die Tiefen der eigenen Seele, wo sie hoffen, eine Spur von Gott zu finden.

Es gibt auch Menschen, bei denen die göttliche Welt völlig überraschend und überwältigend durch die Oberfläche bricht und das Leben mit unfassbarer Freude erfüllt. Von dieser neuen Welt spricht Jesus, wenn er uns beten lehrt: «Wir im Himmel so auf Erden». Oder wenn er vor Pilatus aussagt. «Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.» (Joh 18,36) Es ist die Welt des Lichts und der Liebe, die Welt des mütterlichen Vaters im Himmel.

Gern möchte ich mit euch die Erfahrung von André Frossard teilen (vgl.: André Frossard: «Gott existiert und alles ist wahr» in: «Wo Gott mir begegnet ist», Sonderband Herderbücherei 1985, S. 13ff.) 1915 geboren, in Paris aufgewachsen als Sohn eines Kommunistenführers. Das Thema Gott war ihm nicht einmal ein Gedanke wert gewesen. Mit 20 Jahren macht er eine intensive Gotteserfahrung. Erst 30 Jahre später schreibt er darüber. Auf der Suche nach einem Kollegen betritt Frossard eine Kirche, in der Nonnen am Beten sind. Es ist am späten Nachmittag des 8. Juli 1935. Hier bricht jäh eine Welle von Wundern los, deren unerbittliche Gewalt in einem Nu alles verändert. Frossard schreibt: «Ich sage nicht: Der Himmel öffnet sich; er öffnet sich nicht. Er stürzt über mich herein.» Und Frossard beschreibt einen Kristall von unerträglicher Helle von unfassbarem Glanz. Es ist die Wirklichkeit, es ist die Wahrheit. Er erkennt eine Ordnung im Universum und Gottes Gegenwart an der Spitze. Er erkennt Gott als jene Person, die die Christen unseren Vater nennen. Die überwältigende Sanftheit, die Milde und Güte dieses mütterlichen Vaters erfährt er in diesem Moment an sich selbst. Es ist eine Milde, die keiner anderen gleicht, … eine aktive durchdringende Milde, die fähig ist, den härtesten Stein zu durchbrechen, und was härter ist, als jeder Stein – das menschliche Herz.

Stellen wir uns vor, das, was Frossard hier beschreibt, sei nicht ein Endorphinschub, nicht ein Drogentrip, nicht eine spontane Ekstase sondern die Wahrheit, die eigentliche Wirklichkeit. Stellen wir uns vor, dass alles, was wir sehen, erleben und erfahren dürfen,

was wir erleiden und ertragen müssen sei nur der Lack, die Oberfläche, der Meeresspiegel und darunter in der Tiefe wartet dieses Licht und wartet dieser mütterliche Vater mit seiner durchdringenden Milde auf uns.

Ich denke, Jesus hat der Frau am Brunnen und allen anderen Menschen von dieser göttlichen Welt erzählt und damit ihre Herzen berührt, geheilt und getröstet.

Diese Welt ist aber nicht dort und wir hier wie in getrennten Räumen, sondern Gottes Welt ist unsichtbar eingemischt in unser Leben, so wie Salz im Wasser oder Hefe im Brot. Ausser dem Bösen gibt es nichts, wo Gottes Welt nicht eingemischt ist. Darum macht Jesus auch immer solche Vergleiche: Die Frau redet vom Wasser zum Trinken, Jesus vom Wasser des ewigen Lebens, weil sich das Eine eben nicht vom Anderen trennen lässt. Damit will er sagen: das ganze Leben ist wie durchnässt von der göttlichen Wirklichkeit. Alles, was wir sind, was wir tun und erleben, hat seine unsichtbare lichtvolle göttliche Tiefendimension. So ist Gott präsent im Gesicht jedes Mitmenschen. Das bedeutet, dass wir uns jeden Menschen, mit einer göttlichen Krone auf dem Kopf vorstellen dürfen.

Und Gott lässt sich zwischen den Kochtöpfen finden. Als lichtvolle Dimension dürfen wir uns vorstellen, dass auch die einfachste, alltäglichste Arbeit durchdrungen ist von Gottes Präsenz. Gottes Glanz ist eingemischt in Jubel und Enttäuschung, in Musik und Spiel und Arbeit, in Freude und gerade auch im Leid. Alles hat eine göttliche Tiefendimension, eine unsichtbare ewige Würde.

Als Christinnen und Christen vertrauen wir gemeinsam mit Jesus auf diese göttliche Welt, auf die wahre Wirklichkeit unter der Oberfläche. Aus dieser ganz anderen Quelle bekommen wir pausenlos das Leben geschenkt, jede Sekunde und bis in Ewigkeit.

Jesus ist gekommen, um uns die Angst zu nehmen: Die Angst vor Gott, die Angst zu kurz zu kommen, die Angst vor Versagen, die Angst vor Krankheit und Tod.

Bei Jesus dürfen wir all diese Ängste eintauschen gegen die lebendige Quelle des Vertrauens und der Hoffnung.

Amen