Feindesliebe braucht Training
19./20. Februar 2021
7. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Lesungen: 1 Sam 26, 2.7-9.12-13.22-23; 1 Kor 15, 45-49;
Prediger: Florian Joos
«Liebt eure Feinde! Tut denen gutes, die Euch hassen, segnet jene, die euch verfluchen!»
Ich bin so froh, dass diese Worte in unserem Evangelium stehen – so ohne Kompromiss, in brillianter Klarheit und Deutlichkeit.
Das, was wir da hören, ist eine enorme Zumutung, es ist highest level, es ist die ethische Olympiadisziplin, die höchste soziale Leistung, es ist der Mount Everest des Christentums.
Und wer es schafft, seinem Feind gutes zu tun, da bin ich sicher, der bekommt am Ende der Tage von Jesus persönlich die himmlische Goldmedaille umgehängt und dazu noch den goldenen Superbowl überreicht.
Bin ich, sind wir, die wir hier heute versammelt sind, zu dieser Höchstleistung fähig? Ich weiss es nicht, und ich würde im Ernstfall nicht meine Hand dafür ins Feuer legen.
Aber ist es denn unmöglich, denen Gutes zu tun, die mich hassen?
Ich denke nicht. Jesus hat es vorgemacht, als er am Kreuz für seine Feinde gebetet hat. Das Gleiche tut Stephanus bei seiner Steinigung und so gibt es noch viele andere Heilige und Märtyrer im Lauf der Geschichte.
Bei der Feindesliebe geht es also um eine Art von Höchstleistung. Insofern reden wir dann auch von hartem Training, vom Vertrauen zu einem Trainer und Meister, wir reden von Vorbildern, von Ehrgeiz, von Wettkampf, Überwindung von Grenzen und dann eben auch von einem Siegespreis (Paulus: Hebr 12).
Zwei Fragen stellen sich:
Erstens: Wollen wir uns darauf einlassen? und zweitens: Wenn wir es wollen – wie schaffen wir das?
Die Frage nach dem Willen muss jedes für sich beantworten. Der Wille ist jedenfalls ein wichtiger Antrieb: Ich muss ehrlich sagen, ich bewundere Menschen mit grosser Willenskraft. Sei es im Sport, in der Politik, in Wissenschaft oder Wirtschaft – egal wo.
Müssten nicht wir Christen mit genauso grosser Energie und Unbeugsamkeit hartnäckig, zielstrebig und zu jedem Opfer bereit unserem Herrn Jesus hinterhereifern – so wie andere mit all ihrer Kraft sich abmühen nach allen möglichen Werten wie Schönheit, Macht, Ruhm, Erfolg und Geld?
Oder ganz spitz und provokativ gefragt: Ist die unbändige Kraft, die manche Menschen dazu antreibt, böses zu tun, wirklich grösser als unser Antrieb zur Feindesliebe?
Feindesliebe erscheint vielen als übermenschlich. Wenn aber sogar wir Christen sie als unrealistisch abtun, dann sind wir bereits disqualifiziert, dann braucht es uns nicht.
Also nehmen wir diese Zumutung Jesu sportlich nach dem Motto: dabei sein ist alles. Versuchen wir es wenigstens im Sinne einer Übung, eines Trainings.
Und so tun wir die ersten kleinen Schritte: Wir beten für Menschen, die wir nicht leiden können,
wir segnen den rücksichtslosen Autofahrer, die unsympathische Nachbarin,
wir tun denen gutes, die nicht einmal ein „Danke“ über die Lippen bringen.
Dabei geht es aber nicht um ein uneigennütziges Opfer.
Ich bin sicher: jede noch so kleine Bemühung dieser Art wird auf Gottes Festplatte gespeichert sein.
So heisst es ja auch: «So wie ihr bemesst und beurteilt, wird euch bemessen und werdet ihr beurteilt werden.»
Und das ist nicht alles: «Euer Lohn wird gross sein, ihr werdet Kinder des Höchsten sein!»
Was will man mehr?!
Wir sollen also nicht Opfer bringen für nichts, sondern wir sollen schlau sein und vertrauen auf die Belohnung im Jenseits. Schätze sammeln sollen wir – aber nicht hier auf dieser Seite, sondern für die andere. Im Himmel wird mit der Münze bezahlt, die wir auf Erden verschenkt haben.
Damit ist die Frage: „Wie schaffen wir es auf den Gipfel der Feindesliebe?“ schon zum Teil beantwortet:
Indem wir nach einem Lohn im Himmel streben, indem wir Gott gefallen wollen, indem wir unser Geld so intelligent anlegen, dass es für die Ewigkeit reicht.
Aber es braucht natürlich noch mehr: nämlich die vertrauensvolle, die liebevolle Beziehung zum Trainer. Jesus ist unser Personal-Coach, er geht jeden Schritt mit uns. Neulich hat mir jemand gesagt: Wir sollten nicht für Jesus leben, sondern auch mit ihm: Jede Entscheidung sollen wir im Gebet mit ihm besprechen, jeden Erfolg mit ihm feiern. Oder gehen wir noch einen Schritt weiter: Wir sollen mit Jesus verwachsen sein wie siamesische Zwillinge und dabei wissen: Wenn wir uns von ihm trennen, dann sind wir tot. Denn die Nahrung und der Atem und der Herzschlag kommen von ihm.
Leib Christi, Communio, das ist unsere Schicksalsgemeinschaft – untrennbar verwachsen mit Jesus und mit unseren Brüdern und Schwestern weltweit.
So ist Jesus gleichzeitig unser Vorbild, unser Begleiter unser Trainer und unsere Kraftquelle für die Herausforderung der Feindesliebe.
Eine Frage aus aktuellem Anlass stellt sich noch:
Hiesse konsequente Feindesliebe etwa auch, dass die Ukrainer ihre Ostgrenze öffnen und sagen sollten: «Kommt herein, liebe Feinde, seid willkommen, nehmt euch, was ihr braucht, seid gesegnet?»
Ich denke Jesus redet hier nicht von Staatspolitik und auch nicht von anonymen Menschenmassen in Waffen und Uniform. Ihm geht es um die konkrete Person, um diesen einzelnen Menschen, der jetzt gerade vor mir steht oder der mich in Gedanken beschäftigt. Und es geht auch nicht um ein Gefühl der Zuneigung. Sondern Feindesliebe bedeutet, dass wir auch jenen, der uns etwas wegnimmt an Geld, an Würde an Wohlbefinden, dass wir auch diesen Menschen wertschätzen, ihn mit Gottes Augen sehen, dass wir ihm aktives Wohlwollen entgegenbringen.
Vielleicht könnte man es so am einfachsten sagen: Ich will, dass es dir gut geht, auch wenn du mir schlechtes antust.
Nur so können wir Gott ähnlich werden, wenn wir es dann wollen. Beten wir um die Kraft für die ersten Schritte.