Dem „Heute“ der Verheissung trauen?

22./23. Januar 2022

3. Sonntag, Lesejahr C
Lesungen: 1 Kor 12,12-27 (gekürzt); Lk 1,1-4; 4,14-21

Predigerin: Bettina Gruber Haberditz

„Heute hat sich das Schriftwort erfüllt!“ So deutet Jesus die Lesung aus dem Jesaja-Buch. Sie verspricht den Armen und Ausgestossenen Befreiung und Heil.

Die erste Reaktion der Mitfeiernden in der Synagoge von Nazareth waren Jubel und Freude. Doch bald schlug die Stimmung um, als sie begriffen, was das bedeuten würde. Wenn Jesus die Vollmacht hätte, göttliche Befreiung anzubieten… Solche Vollmacht hat allein der sehnlichst erwartete Messias, aber sicher nicht der Zimmermannssohn aus der Nachbarschaft. Um ein Haar wäre Jesus als Gotteslästerer gesteinigt worden.

Wir bekennen uns zu Jesus als den Retter im Namen Gottes. Dennoch vertagen auch wir die Hoffnung auf Heil in die Zukunft. Auf viel später, womöglich nach dem Tod.

Dieses Heute, Jetzt, dürfen wir ihm trauen? Die Erfahrung zeigt doch, dass gar nicht alles gut ist. Das Zusammenleben gelingt längst nicht immer, und Millionen von Menschen leben auch heute unter Umständen, die nach Befreiung schreien. In ihrer Not beten sie wahrscheinlich: Gott, greif ein, heute!

In seinen Predigten, mit den Heilungen von kranken und behinderten Menschen wiederholt Jesus immer wieder: Gottes Reich ist schon unter uns, ganz konkret. In der Geschichte vom Schatz im Acker oder von der wertvollsten Perle lassen die Betroffenen alles stehen und liegen und setzen alles auf diese eine Karte: jetzt!

Warum fällt es uns so schwer, dem Heute Jesu zu trauen? Sind wir so zufrieden, dass wir gar keine Veränderung der Verhältnisse anstreben? Oder haben wir Angst davor, wie wir selber verändert würden, wenn wir mit diesem Heute Gottes unseren Tag anpacken würden?

Dieses Jetzt und Heute begegnet uns auch im Brief an die Gemeinde in Korinth. Ihr seid der Leib Christi. Nicht irgendwann in Zukunft, wenn wir uns mächtig anstrengen oder uns würdig erweisen, nein, jetzt, heute, in diesem Moment.

Wir sind der Leib Christi. So unterschiedlich wir sind, alle gehören dazu. Wir haben gehört: „Gott hat jedes einzelne Glied so in den Leib eingefügt, wie es seiner Absicht entsprach.“ Jede und jeder von uns ist somit ein göttlicher Gedanke und hat seinen je eigenen Auftrag, zum Wachsen des Gottesreiches beizutragen. Nicht irgendwann, sondern jetzt.

Wenn wir beim Bild vom einen Leib und den unterschiedlichen Gliedern bleiben, dann ist es – mit Blick auf unsere Kirche – verheerend für unsere Sendung, wenn einige Glieder sagen, ich mache da nicht mehr mit. Und noch schlimmer, wenn Verantwortungsträger oder Ortsgemeinden entscheiden, dass wir auf den Beitrag bestimmter Menschen verzichten können. Was wird das für ein Leib? Ich fürchte einer mit amputierten Zehen und Organ-Fehlfunktionen. Es ist erkennbar: eine Kirche, die Menschen ausschliesst, sabotiert ihre eigene Sendung. Es muss daher unser Bestreben sein, alle mit ihren gottgeschenkten Begabungen dabei zu haben. Sonst haben wir nicht eine „verbeulte Kirche“, sondern eine verunstaltete!

Wir stehen in der Gebetswoche für die Einheit der Christen. Darum noch folgender Gedanke: Keine christliche Konfession kann für sich in Anspruch nehmen, allein der Leib Christi zu sein. Der Leib Christi, das sind alle Getauften. Durch den einen Geist wurden wir in den Leib integriert. Wenn dem so ist, so müssten die Freuden und Sorgen anderer Konfessionen auch unsere Freuden und Sorgen sein. Von dieser gegenseitigen Aufmerksamkeit spüre ich herzlich wenig.

Unsere Anteilnahme könnte dadurch intensiviert werden, dass wir die Unterschiedlichkeit der Glaubensformen noch stärker wertschätzen und in gemeinsamen Feiern uns über die Stärken der anderen Kirchen freuen. Oder indem wir mit den verfolgten Christen leiden und beten und uns für Glaubensfreiheit einsetzen. Und indem wir eine Taufe nicht als Privatsache betrachten, sondern in jeder Taufe einen Tag der Hoffnung für uns Christ:innen feiern.

Ein kleiner Anfang wäre, in unserem Sonntagsgottesdienst die Neugetauften wie die Verstorbenen zu erwähnen, Gott für ihre Existenz zu danken und um seinen Schutz zu bitten. Und unsere Gemeinschaft stärken können wir auch, wenn wir nach der Messe und unter der Woche Anteil nehmen am Leben der anderen, besonders, wenn es gerade durch schwierige Tage geht. Ich weiss, dass das unter Ihnen schon zahlreich geschieht, und ich danke Ihnen dafür. Für das Wohlergehen des Leibs Christi sind nicht die kirchlichen Angestellten zuständig, wir tragen gemeinsam diese Verantwortung aller Getauften – natürlich mit Gottes Hilfe und Segen, mit der Kraft des Geistes.

Im Leib Christi, der wir sind, will die befreiende Gegenwart Gottes in die Welt leuchten. Für unsere Gemeinschaft und für Aussenstehende erfahrbar wird sie immer nur im Heute.

Dürfen wir dem „Heute“ Gottes trauen?
Unbedingt! Denn eigentlich ist es die einzige Art, zu glauben.

Amen.