„Auf dein Wort hin …“
05./06. Februar 2022
5. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr C
Lesungen: Jes 6,1-2a.3-8; 1 Kor 15, 1-11; Lk 5, 1-11
Predigerin: Christina Mönkehues-Lau
„Auf dein Wort hin, werfe ich die Netze aus“ – es ist ein komplett verrücktes Unterfangen. Da haben die Experten für Fischfang Simon und seine Kollegen die ganze Nacht gearbeitet. Sie haben die beste Tageszeit genutzt, aber der Aufwand war total umsonst. Sie sind müde und frustriert. Sie fragen sich vielleicht auch, wovon sie ihre Familien ernähren sollen, wenn sie nichts verkaufen können. Der Misserfolg trifft sie in ihrer Existenz. Und in all diesen Frust spricht Jesus, der doch überhaupt nichts vom Metier versteht, diesen Satz: „Fahr hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze aus“. Die logische Reaktion darauf wäre doch eine Weigerung, ein Kopfschütteln – und doch wagt Petrus einen Neuanfang.
Bei dem heutigen Evangelium erinnere ich mich an einen Kollegen aus Studienzeiten. Seine erste Ehe war zerbrochen. Doch statt die Sache mit der Liebe aufzugeben, machte er sich noch einmal auf den Weg. Nach so einer ersten Enttäuschung brauchte es viel Mut, wieder alles auf eine Karte zu setzen und eine Beziehung zu wagen. Er lernte eine neue Frau kennen, auch sie geschieden. Mit ihr hoffte er, erfülltes Leben erfahren zu können. Ich erinnere mich, dass er und seine neue Partnerin unser heutiges Evangelium für ihre Hochzeit wählten: Auf dein Wort, Herr, riskieren wir es noch einmal. Auf dein Wort hin, machen wir uns noch einmal auf den Weg – aller vorherigen Erfahrung zum Trotz.
In diesen Freund und in den zunächst enttäuschten Petrus kann ich mich in diesen Tagen ganz gut hineinversetzen. Als Mitglied in der Katholischen Kirche bin in entsetzt darüber, was das Münchener Missbrauchsgutachten zu Tage gefördert hat und wie es sich in eine lange Spur kirchlichen Versagens einreiht. Biografien sind zerbrochen an den schrecklichen Erfahrungen, die Menschen in der Kirche gemacht haben, und dann wurde ihnen noch nicht einmal zugehört. Schockierend ist für mich auch die Struktur der Vertuschung und die evidente Unfähigkeit, mit Schuld umzugehen, obwohl das doch eine Kernkompetenz der Kirche sein soll. In diesen Tagen berührt mich auch die Initiative Out in Church, in der sich viele Mitarbeitende der Kirche öffentlich als nicht heterosexuell oder nicht binär geoutet haben – allen Ängsten zum Trotz, denn ihr Bekenntnis könnte für viele den Jobverlust bedeuten.
Viele Menschen reagieren auf diese Schlagzeilen mit dem Kirchenaustritt. Sie sind frustriert, verletzt, ihr Vertrauen ist gebrochen. Ja, ich kann das gut nachfühlen. Es braucht einen Umbruch auf vielen Ebenen. Aber wer lässt sich angesichts dieser Erfahrungen da noch gewinnen für den Umbau des Kirchenschiffs?
Ich habe darauf keine finalen Antworten. Aber vielleicht kann ein Blick an den Beginn der Jesusbewegung helfen, um uns als Gemeinschaft neu auszurichten. Schon am Anfang gab es wichtige Faktoren, die dazu beitrugen, dass die Hoffnungsbotschaft vom Reich Gottes überzeugen konnte und Menschen existenziell berührte, so dass sie alles auf diese Gemeinschaft setzten.
Faktor 1: Da ist zunächst die Entsprechung von Wort und Tat. Unser Evangelium verbindet verschiedene Erzählungen: Jesus predigt zu der Menge, dann spricht er mit Simon und weil dieser seinem Wort vertraut, kommt es zum unerwartet reichen Fischfang und schliesslich zu Simons Berufung. Jesus predigt nicht nur, sondern er handelt auch: Die Überfülle des Lebens wird im reichen Fischfang plötzlich für Simon und seine Freunde spürbar. Und diese Konfrontation mit einem wundersamen Geschenk überzeugt. Ich denke, das ist auch ein Fingerzeig für die Kirche. Nein, wir werden wohl nicht alle grosse Wunder erleben, aber es ist auch klar, dass man heute allein mit guten Worten niemanden mehr überzeugen kann. Vielleicht hilft es, sich zu fragen, ob in unserer Gemeinschaft das Reich Gottes spürbar wird; ob wir als Gemeinschaft so miteinander umgehen, dass Lebensfülle erschlossen und Gottes Liebe greifbar wird. Nur wenn ich das erlebe, vermag ich der biblischen Hoffnungsbotschaft zu vertrauen, werden aus leer scheinenden Worten glaubwürdige Überzeugungen.
Faktor 2 ist für mich das Sündenbekenntnis des Petrus: „Geh weg von mir, ich bin ein sündiger Mensch“. Auch in der ersten Lesung haben wir gehört, dass Jesaja so auf die Begegnung mit Gott reagiert: „Ein Mann mit unreinen Lippen bin ich.“ Ja, wir sind Menschen und wir sind – ob wir es nun wollen oder nicht – immer schon in Systeme der Schuld verstrickt. Und auch wir persönlich machen immer wieder Fehler. Doch gerade uns spricht Gott an: Mit uns will er in Beziehung sein. Gott will sein Reich gerade durch das Durchschnittliche, Normale ins Werk setzen – durch schuldgefährdete Menschen. Und die Kirche, die dadurch entstanden ist, ist eben auch nicht nur heilig. Und sie ist nicht gefeilt davor, immer wieder schuldig zu werden. Glaubhaft wird die Kirche nur dadurch, dass sie etwas von ihrem Heiligenschein abstreift und sich ihrer Schuldfähigkeit immer wieder bewusst wird, um Verzeihung bittet, wo sie Menschen verletzt hat, sich um Versöhnung bemüht.
Ein dritter Faktor ist für mich die Tatsache, dass Jesus gerade in unmögliche Situationen seine Hoffnungsbotschaft hineinspricht. Er erwartet die Menschen nicht in der Synagoge, sondern gerade mitten im Alltag, wo ihre Existenz bedroht ist, wo sie mit ihrem Scheitern oder mit Ausgrenzung konfrontiert sind. Dort spricht er sie an und versichert ihnen, dass ein anderes Leben möglich ist. Ich denke, wenn wir mit offenen Augen durch die Welt gehen, können auch wir heute genug Gelegenheiten ausmachen, Menschen anzusprechen, mit ihnen nach neuen Wegen in Lebenskrisen suchen und ihnen eine Gemeinschaft bieten, die sie trägt.
Die Aufzählung könnte noch lange so weitergehen. Jesus ist ein guter Lehrmeister und seine Art zu handeln ist uns als Kirche doch in die DNA geschrieben. Die Orientierung daran wird entscheidend sein für die Kirche in den nächsten Monaten und Jahren und für die Entscheidung, ob Menschen noch einmal den Mut und den Glauben daran haben, gemeinsam im Boot auf sein Wort hin hinauszufahren, ob sie dem Boot und seinen verrottet wirkenden Planken gegen allen Augenschein noch vertrauen, weil andere mit ihnen im Boot sind, die glaubwürdig leben und handeln.
Amen.