Anders als du denkst
10./11. Dezember 2022
3. Adventssonntag, Lesejahr A
Lesungen:Jes 35, 1-6a.10; Mt 11, 2-11
Predigerin: Christina Mönkehues-Lau
„Trotzdem dankbar“ – so hiess eine Aktion der Jesuiten in der Adventszeit vor zwei Jahren. Corona hatte im Jahr 2020 die Welt völlig im Griff, erneut Lockdown und Weihnachtsstimmung wollte sich irgendwie nicht so richtig einstellen. Die Pandemie verschärfte private wie gesellschaftliche Probleme wie unter einem Brennglas; die Verunsicherung und die Ängste waren spürbar. In dieser Situation wollten die Jesuiten eine wichtige Übung ihrer ignatianischen Spiritualität näherbringen: Den Tagesrückblick, in dem man zuerst den Blick auf das Gute lenkt, das am Tag passiert ist, und dafür dankt. Ein eigenes Dankbarkeitstagebuch wurde aufgelegt mit einer Erklärung der Methode und vielen leeren Seiten, um Erlebnisse aufzuschreiben, für die man dankbar ist.
Im Kleinen übe ich das oft abends mit unserer Tochter: Was war schön heute? Worüber hast du dich gefreut? Auch wenn der Tag anstrengend war oder wir Konflikte hatten, dann finden wir immer Erlebnisse, die uns bereichert haben und gehen mit einem guten Gefühl schlafen. Das, was wir am Tag hören und sehen, das muss noch einmal überdacht werden, und wir wählen, woran wir unser Herz hängen. „Prüft alles und behaltet das Gute“ – ein weiser Ratschlag, den schon der erste Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki gibt.
Aber nicht für jeden oder jede ist das leicht. Was ist, wenn ein Schicksalsschlag alles durcheinanderbringt? Wenn man mit physischen oder psychischen Krankheiten kämpft? Wenn alles, worauf man vertraut hat, wovon man überzeugt war, plötzlich ins Wanken gerät?
Auch Johannes der Täufer, von dem im heutigen Evangelium die Rede ist, steckt mitten in so einer existentiellen Krise. Johannes hatte seine Überzeugungen: Das Gericht ist nahe, wer nicht jetzt umkehrt, der ist verloren. Johannes hat sich bewusst von der Welt abgekehrt; er lehrt in der Wüste, einem Ort, der für Gottesbegegnungen prädestiniert ist. Er hüllt sich in einen Kamelhaarmantel und ernährt sich von wildem Honig und Heuschrecken, ein Asket und Prophet, so das Matthäusevangelium, das ihn als mahnenden Rufer in der Wüste vorstellt. Für Johannes den Täufer ist klar, dass der Wandel, der bald in die Welt hineinbrechen wird, radikal sein wird. Ein Weltgericht wird die Machtverhältnisse umkehren. Könige werden ihre Throne verlieren und Gott wird herrschen. Darum hat er auch keine Hemmungen, sich mit weltlichen Autoritäten anzulegen. Seine Kritik an Herodes Antipas wird ihm allerdings zum Verhängnis – er landet im Gefängnis. Und Gott: greift nicht ein. Die Mächtigen bleiben mächtig.
Alles auf eine Karte gesetzt und dann verloren? Ja! Auf den ersten Blick ist das so.
Und doch: Johannes kapituliert nicht. Auch hinter Gittern hört er nicht auf, nach Zeichen des Wandels zu suchen. Das, was er von Jesus hört, lässt ihn aufhorchen und so sendet er Schüler aus, die ihm berichten sollen, ob Jesus wirklich der verheissene Messias ist: „Bist du der, der kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?“ Die Antwort ist kein: Ja, ich bin es, sondern eine Aufforderung zum Sehen und Hören. Durch die Begegnung mit Jesus und sein Wirken gewinnen Menschen neuen Lebensmut. Aussenseiter werden wahrgenommen. Menschen, die für alles taub waren, werden hellhörig, Leute, die mitten im Leben schon tot waren, gewinnen neue Lebensfreude.
Gerade die Verkündigung der Botschaft an die Armen ist der Höhepunkt dessen, was Jesus dem Johannes ausrichten lässt: Die, die keine Hoffnung haben und denen oft die Basis fehlt, dürfen darauf vertrauen, dass Gott ihr Leben trägt.
Mir ist der zweifelnde Johannes ein gutes Adventsvorbild: Trotz existentieller Krisen hört er nicht auf zu fragen. Er zementiert sein Gottesbild nicht ein, sondern er sucht nach dem Wandel in der Welt – auch wenn er sich anders entfaltet, als er es vielleicht gedacht hat. Er ist bereit, besser hinzuschauen und hinzuhören und dabei Gott an Orten zu finden, die ihm vorher unwahrscheinlich schienen.
Unser Evangelium berichtet nicht davon, ob diese Botschaft Johannes überzeugt hat. Ist er wirklich bereit gewesen, sein Herz an einen Messias zu hängen, der überhaupt nicht seinen Vorstellungen entsprach? Konnte er am Ende wirklich Hoffnung schöpfen – trotz seiner verhängnisvollen Lage? Ich glaube, das Matthäusevangelium lässt die Erzählung bewusst in der Schwebe, damit auch wir als Lesende und Hörende selbst zu einer Entscheidung und zu einem Bekenntnis kommen.
Was es dazu braucht, hat Johannes vorgemacht. Vielleicht gelingt es auch uns in den Tagen auf Weihnachten hin, besser hinzuschauen und zu hören, wo Gottes Reich schon jetzt gegenwärtig wird. Wenn Flüchtlingen durch Sprachkurse Sprachfähigkeit erschlossen wird, wenn Solidaritätsaktionen nicht nur Beschenkte sondern auch Schenkende zusammenbringen, wenn Menschen unterschiedlicher Sprachen und Kulturen zusammen ihren Glauben feiern können, wie z.B. am letzten Donnerstag in St. Theres. Dafür bin ich dankbar. Und vielleicht erschliesst dieser offene Blick uns auch die unwahrscheinlichste Gottesbegegnung: Mit einem Säugling, in einer Krippe, in einem politischen Randgebiet, vor 2000 Jahren – und doch für uns greifbar bis heute.
Amen.